Nadjeschda Krupskaja mit ihrem Mann Wladimir Lenin 1922 in seiner Residenz in Gorki, rund 40 Kilometer von Moskau entfernt. Zwei Jahre später starb der Staatsmann.
Mary Evans Pictrure Library/Global Look PressWie findet ein Historiker am schnellsten heraus, ob der zu prüfende Student ein hoffnungsloser Fall ist? Er stellt ihm eine einfache Frage: „Wie hieß der Ehemann von Krupskaja?“ Antwortet der Prüfling bar jeder Ahnung aufs Geratewohl „Krupski“, wird er mit Schande fortgejagt.
Wer nur ein wenig Geschichtsverständnis besitzt, weiß, dass der Mann von Nadjeschda Krupskaja Wladimir Lenin war, der Kopf der Oktoberrevolution von 1917 und Gründer der Sowjetunion. Dieser hatte vor seiner triumphalen Rückkehr nach Russland 16 Jahre im Untergrund gelebt. In all den Jahren wusste er seine unermüdlich arbeitende Ehefrau, die eine ebenso überzeugte marxistische Revolutionärin war wie er selbst, an seiner Seite.
Bereits mit 21 Jahren jedoch wendete Nadjeschda Krupskaja sich von der Kirche ab. Sie war von einer neuen Idee beseelt, den Zielen der Revolution, und schloss sich 1890 in Petersburg einem marxistischen Studentenzirkel an. An einer Abendschule unterrichtete sie zugleich Arbeiter in den Fächern Geografie, Geschichte und Mathematik. Krupskaja blieb ihr ganzes Leben lang Lehrerin. Als im Jahr 1917 die Bolschewiki die Macht übernahmen, verschrieb sie sich den Fragen der Volksbildung und der Kindererziehung.
In dem marxistischen Zirkel lernte Krupskaja ihren künftigen Ehemann kennen, den jungen Sozialisten Wladimir Uljanow, wie er vor seiner Namensänderung hieß. Sie waren, wie Krupskaja selbst schreibt, „bereits recht eng vertraut“, als Lenin wegen seiner revolutionären Tätigkeit verhaftet wurde. Ein Jahr später wurde er in das Dorf Schuschenskoje verbannt, 4 508 Kilometer östlich von Moskau. Damit Krupskaja ihn begleiten durfte, mussten sie sich kirchlich trauen lassen. „Wir mussten diese Farce irgendwie hinter uns bringen“, erinnerte sich Krupskaja später.
Während einige Historiker in der Ehe von Lenin und Krupskaja in erster Linie die Verbindung zweier Enthusiasten sehen, hebt Nadjeschda in ihren Erinnerungen hervor, sie hätten durchaus nicht nur geheiratet, um die Monarchie zu stürzen: „Wir liebten uns aufrichtig. Die Tatsache, dass ich über unsere Ehe nicht schreibe, bedeutet nicht, dass es in unserem Leben keine Poesie und keine unverstellte Leidenschaft gegeben hätte.“
Dennoch stand die Arbeit im Leben des Paares an vorderster Stelle. Sie übersetzten ausländische Bücher über die Arbeiterbewegung, führten Schriftwechsel mit europäischen Sozialisten, diskutierten die Perspektiven der Revolution. Im Jahr 1900 flohen sie nach Europa, wo sie in München, London, Genf und Paris lebten. Während dieser ganzen Zeit war Krupskaja Lenin eine unverzichtbare Hilfe. So übernahm sie etwa die komplizierte Verschlüsselung des umfangreichen Briefwechsels mit anderen Sozialisten.
Krupskaja lässt sich mit Pionieren ablichten. / RIA Novosti
Krupskaja litt ihr Leben lang an Morbus Basedow, einer Krankheit, die Ende des 19. Jahrhunderts unheilbar war. Zu den Symptomen dieser vererblichen Autoimmunkrankheit zählen „Glubschaugen“, chronische Schmerzen und Unpässlichkeiten. Infolge ihrer Krankheit war Krupskaja, die Kinder liebte, unfruchtbar. Wie Zeitzeugen sich erinnern, litt die Sozialistin sehr unter ihrer Kinderlosigkeit.
Nicht weniger schmerzhaft war für sie die 1910 entfachte Beziehung Lenins zu Inessa Armand, einer anderen Sozialistin. Zahlreiche Zeitzeugenberichte erzählen von einer Affäre zwischen Lenin und Armand. Es sind Briefe erhalten, in denen sie ihm ihre Liebe gesteht. Krupskaja reagierte mit stoischer Selbstbeherrschung. Sie freundete sich sogar mit Armand an. Lenin entschied sich schließlich für seine Frau. Wie der Historiker Leonid Mletschin darlegt, „betrachtete er die Leidenschaft als eine vorübergehende Erscheinung, als gegenüber der langen freundschaftlichen Beziehung mit Krupskaja weniger bedeutsam“.
Trost fand Krupskaja in ihrem Engagement für die Gesellschaft, so wie sie es verstand. „Man muss lernen, das eigene Leben mit dem gesellschaftlichen zu vereinen. Das ist keine Askese. Im Gegenteil, das persönliche Leben wird reicher, wenn man die Anliegen der arbeitenden Bevölkerung zu den persönlichen macht“, sagte sie.
Nach dem Tod Lenins brachen harte Zeiten für Krupskaja an. Zwar wurde sie formal als „engste Weggefährtin“ Lenins gewürdigt, doch ihre Positionen wurden ignoriert. Josef Stalin, der die Macht in seinen Händen konzentrierte, gefiel es nicht, dass Krupskaja sich erdreistete, mit ihm zu streiten. Sie wiederum machte keinen Hehl aus ihrer Kritik an Stalin und seiner Repressionspolitik. „Merken Sie wirklich nicht, wie krank unsere Verhältnisse geworden sind, wie sie unser Leben vergiften?“, fragte sie 1937 einen ihrer Genossen.
Im Jahr 1939, wenige Tage nach ihrem 70. Geburtstag, starb Nadjeschda Krupskaja an einer akuten Blinddarmentzündung. Stalin, der Krupskaja zu ihren Lebzeiten nicht geschätzt hatte, trug die Urne mit ihrer Asche persönlich zu ihrem Grab. Sie wurde an der Kremlmauer beigesetzt, nur wenige Meter vom Mausoleum entfernt, wo der einbalsamierte Leichnam ihres Ehemannes seine letzte Ruhestätte fand.
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