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Das Leben in einer Nacht, die 133 Tage im Jahr andauert. Das völlige Fehlen von Sommer. Nein, das sind keine Meme über die Trostlosigkeit der ersten Herbsttage im September. Für Russlands fünf aktive Antarktisstationen und deren Mitarbeiter ist der eisige Alltag. „Wostok“ ist die einzige Station auf dem Festland und hat mit den schwierigsten Bedingungen zu kämpfen: Sie befindet sich am Südpol auf einem Eisschild, unter dem sich der alte See „Wostok“ verbirgt. Neun Monate im Jahr ist die Station gänzlich von der Außenwelt abgeschnitten. Die Temperaturen sinken auf bis zu -60 bis -80 °C. Zu den Mitarbeitern können nicht einmal Flugzeuge fliegen: Denn selbst wenn es erfolgreich landen würde, würde es sofort festfrieren.
Die erste große Herausforderung ist aber die Bergkrankheit: Denn der Sauerstoffgehalt der Luft am Südpol ist in etwa so niedrig wie auf dem Elbrus (dem höchsten Berg Russlands im Kaukasus).
Die Symptome können sehr unterschiedlich sein. Manch einer bekommt Depressionen, oder weint einfach los. Manch einem wird schwindelig und er fällt in Ohnmacht. Bei anderen wiederum setzt die Atmung im Schlaf aus.
/ I. Kouznetsova/RIA Novosti
„Gewöhnlich verlieren die Leute im ersten Monat auf der 'Wostok' fünf bis zehn Kilogramm an Gewicht. Ich hab auch schon gesehen, dass jemandem schon wenige Minuten nach der Ankunft schlecht wurde“, erzählt Sergej Buschmanow, Mitglied der Antarktis-Expeditionen. Dabei rieche es in der gesamten kontinentalen Antarktis nach „karamelisierter Vanille“, meint er. Diesen Duft könne man auch noch bei -82°C wahrnehmen.
Die Regisseurin Jekaterina Jeremenko verbrachte einen Monat auf der Station. Sie sagt, sie habe sich gefühlt, als hätte sie immer unter Wasser geatmet - immer gegen Widerstand. „Und worauf ich überhaupt nicht vorbereitet war, das waren die Höhlen unterm Schnee, in denen die Menschen leben. Der Schnee hält zwar warm, aber du lebst da wie in einem U-Boot“, erzählt die Filmemacherin. „Die Räume sind sehr klein, es gibt kein Tageslicht. Um rauszugehen, muss man sich warm anziehen. Ich habe mich eingecremt, Masken angezogen, mich lange eingemummelt. So ein Anziehen kann dann schonmal eine halbe Stunde dauern. Und das ist der Normalzustand. Manchmal aber gibt es auch Notfälle“.
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1982 gab es beispielsweise einen solchen Zwischenfall. Direkt am Anfang der Wintersaison explodierte die Diesel-Elektrostation. Feuerlöscher funktionieren bei Frost nicht, auch mit Schnee konnte das Feuer nicht völlig gelöscht werden, weil es an Rauchmasken mangelte. Eine Person starb. Und zwanzig mussten auf der „Wostok“ ohne Licht und Wärme überwintern. Messgeräte wurden genauso unbrauchbar wie Heizungen und Kochplatten. Einfrieren konnten nicht nur die Lebensmittel, sondern auch das Wasser. Es wurde aus aufgetautem Schnee gewonnen und musste gefiltert werden. Aber eben auch mit Strom.
Zum Glück aber erinnerte sich jemand auf der Station an einen alten, eigentlich schon ausrangierten Dieselgenerator. Nach einigen Stunden war der zum Funktionieren gebracht. So gab es wenigstens eine Mahlzeit und Kontakt nach Moskau. Dennoch überlebten die Polarforscher letztlich bis zum Ende völlig selbstständig.
Da eine Heizquelle natürlich zu wenig für eine ganze Mannschaft ist, bauten sich die Forscher aus Gasballons noch fünf weitere. Letztlich erreichten sie um die Öfen herum Temperaturen von 25 bis 30°C plus. Zwei Meter weiter aber schon nur noch null, und danach foglte nur noch Frost.
Lichtquellen schufen sich die Forscher, indem sie mit selbst hergestellten Kerzen. Geophysiker haben immer genügend Paraffin bei sich, ebenso wie Asbestschnur.
1942, noch während des Zweiten Weltkrieges, versenkte ein deutscher Kreuzer einen russischen Eisbrecher. Von 104 Personen an Bord überlebte allein der 33-jährige Heizer Pawel Wawilow. Wie durch ein Wunder gelang es ihm, auf einem Stück Holz fortzuschwimmen. Erst rettete er sich in ein Rettungsboot, aus dem die Deutschen die überlebenden Gefangenen zusammengesucht hatten. Dann ruderte er noch zwei Meilen bis zur nächsten Insel Belucha.
„Ich sah, da trieb ein Knoten. Den knüpfte ich auf. Darin lagen eine Wattedecke, Filzstiefel und eine Mütze. Dann schaute ich weiter: da treibt ein Köfferchen mit „Sternchen“-Zigaretten und Streichhölzern“, erzählte Wawilow später Journalisten. „Dann habe ich einen Schlafsack gefunden. Sogar Mehlsäcke trieben mir entgegen. (...) ich schaute mich um, und da sitzt auf einem umgestürzten Boot ein Hund. Den Hund habe ich mitgenommen. Gleich wurde es wärmer. Er war ja kaum mehr am Leben.“
Als Trinkwasser fing er den Regen mit Eimern auf und filterte ihn zwischen Steinen. Ein Eimer reichte ihm und dem Hund für drei bis vier Tage.
Wawilow führte Tagebuch und beschrieb jeden der insgesamt 34 einsamen Tage auf der Insel: „Samstag, 13. September. Ein Flugzeug gesehen, noch 220 Hartkekse.“ Lange blieb er unbemerkt, obwohl regelmäßig Schiffe und Flugzeuge vorbeikamen. Und als man ihn dann bemerkte, lief eine Fähre auf Grund. Und ein Flugzeug konnte nicht auf dem Wasser landen, weil der Wellengang zu stark war. Darum warfen sie ihm letztlich zunächst nur einen Sack mit Kondensmilch, Kakao, Brot, Medikamenten und einem Brief zu, in dem sie ihn baten, doch noch ein bisschen auszuharren, bis besseres Wetter werde.
Als er dann am 28. September gerettet wurde, schrieb er nur in sein Tagebuch: „Aufgelesen.“
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