Nikita Chruschtschow und der amerikanische Präsident John F. Kennedy in Wien am 4. Juni 1961
Getty ImagesVom Start weg bedrohte die Kubakrise im Jahr 1962 den Fortbestand der Menschheit. Die USA verlangten den Abzug sowjetischer Nuklearraketen aus Kuba, während Moskau darauf bestand, dass Washington zunächst seine Raketen aus der Türkei abziehen müsse.
Der US-amerikanische Präsident John F. Kennedy befahl der amerikanischen Marine, eine Blockade um Kuba zu errichten. Erster Sekretär der Kommunistischen Partei Nikita Chruschtschow beorderte daraufhin vier dieselbetriebene U-Boote der Klasse Foxtrott, jeweils mit nuklearen Torpedos bestückt, in die kubanischen Gewässer. Am 27. Oktober war die Katastrophe dann greifbar nah: Die Sowjets, die eine Basis auf der Insel unterhielten, schossen ein amerikanisches Spionageflugzeug ab und töteten dabei auch den Piloten. Ein offener Krieg war nur noch einen kleinen Schritt entfernt.
Doch die Situation sollte sich noch weiter zuspitzen. Vor der Küste Kubas hatten elf amerikanische Zerstörer und ein Flugzeugträger eines der U-Boote, die B-59, umzingelt. Von der Bestückung des U-Bootes mit nuklearen Sprengköpfen wussten die Amerikaner jedoch nichts. Also begannen sie damit, Wasserbomben abzuwerfen, um das Boot so zum Auftauchen zu zwingen. Die Offiziere an Bord mussten entscheiden, ob sie sich wehren sollten oder nicht.
Die B-59
Legion MediaDer Kapitän des U-Bootes, Walentin Sawitski, versuchte, mit Moskau in Kontakt zu treten, doch eine Verbindung konnte nicht aufgebaut werden. Die Detonationen der Wasserbomben rückten dabei immer näher an die B-59 heran. „Es klang, als säße man in einem Fass aus Eisen, während jemand mit einem Vorschlaghammer dagegen schlägt“, erinnerte sich Wadim Orlow, der als Informationsoffizier an Bord war.
Langsam aber sicher gingen dem U-Boot der Treibstoff und die Luft zum Atmen aus. Ein Auftauchen war dringend notwendig, aber die Besatzung wusste nicht, ob die amerikanischen Schiffe für diesen Fall einen Angriff planten. Vielleicht habe der Dritte Weltkrieg ja bereits begonnen, spekulierte man.
Drei Offiziere hatten eine schwere Entscheidung zu treffen: wie von den Amerikanern gefordert aufzutauchen oder Torpedos abzufeuern, unter denen auch einer mit nuklearem Sprengkopf war. Laut Aussagen Orlows war Kapitän Sawitski bereit, loszuschlagen, und wurde dabei auch vom politischen Offizier, dem sogenannten zampolit, unterstützt.
Orlow berichtete, dass Sawitski, nervös und sich sicher, dass der Krieg bereits begonnen habe, laut schrie: „Wir werden sie nun beschießen! Wir werden die Ehre unserer Marine nicht verletzen!“ Der dritte Offizier aber, Kapitän Wasili Archipow, der die gesamte Flotte kommandierte, überzeugte seine Kollegen, dass der Abschuss eines nuklearen Torpedos ein zu großes Risiko darstelle.
Wasili Archipow
ArchivbildAlso tauchte die B-59 auf und forderte von den Amerikanern, die Provokationen einzustellen. Gemeinsam mit den anderen drei U-Booten wurde es gezwungen, die kubanischen Gewässer zu verlassen und in die UdSSR zurückzukehren. Die wichtigste Entscheidung aber war jene, eine direkte Konfrontation zu vermeiden. Am folgenden Tag, dem 28. Oktober 1962, einigten sich Chruschtschow und Kennedy: Die Kubakrise war beendet.
Einer der Gründe, warum Sawitski letztlich auf Archipow hörte, war dessen in Jahren des Militärdienstes angesammelte Autorität. Sein bedeutsamster Einsatz, der ihn unter den U-Boot-Besatzungen der Sowjetunion berühmt machte, hatte ein Jahr zuvor stattgefunden.
1961 diente Archipow auf der K-19, einem nuklearen U-Boot, das wegen seiner vielen Pannen und Unfälle unter sowjetischen Offizieren berüchtigt war. Selbst einen Spitznamen hatte das Boot: Man nannte es „Hiroshima“. Im Juli 1961 führte K-19 Übungen im nördlichen Atlantik durch, als der Reaktor des Schiffes ausfiel und Kühlflüssigkeit austrat.
Die Strahlenwerte im U-Boot stiegen schlagartig auf ein gefährliches Level an. Viele der Besatzungsmitglieder und Offiziere brachen in Panik aus und versuchten sich an einer Meuterei. Archipow, stellvertretender Kapitän der K-19, war einer der wenigen, die ruhig blieben, die Ordnung wahrten und die vorgeschriebene Evakuation organisierten. Die gleiche Ruhe und Weitsicht zeigte er auch ein Jahr später vor der Küste Kubas.
Archipow wurde nach dem Ende der Krise nie für seinen Einsatz gewürdigt – zumindest nicht offiziell. Die gesamte Geschichte wurde geheim gehalten. Seine Karriere in der Marine setzte er jedoch fort und wurde 1981 zum Vizeadmiral ernannt. Nach seiner Pensionierung lebte er mit seiner Familie im Moskauer Umland.
Im Jahr 2002, während einer Konferenz zum 40. Jahrestag der Kubakrise, gab der Informationsoffizier Wadim Orlow Details der Geschehnisse an Bord der B-59 bekannt. Auch berichtete er davon, wie nah die Welt einer nuklearen Zerstörung gekommen war und welche Rolle Archipow dabei spielte, dies zu verhindern.
Thomas Blanton, Direktor des amerikanischen „National Security Archive”, zeigte sich schwer beeindruckt und sagte: „Die Lektion dieser Geschichte ist, dass ein Mann namens Wasili Archipow die Welt gerettet hat.” Die anderen Teilnehmer der Konferenz stimmten dem zu, doch niemand sollte jemals Archipows Version der Ereignisse erfahren. Er war 1998, vier Jahre zuvor, verstorben.
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