Alfred von Vacano
Vladimir Smirnov/TASSIn der heutigen Zeit nach Russland zu ziehen und ein Unternehmen zu gründen ist schwierig genug. Aber wie muss es erst im 19. Jahrhundert gewesen sein? Damals strömten viele ausländische Unternehmer nach Russland, um von billigen Arbeitskräften und dem Konkurrenzmangel zu profitieren, obwohl sie weder die Sprache noch das Land kannten. Wären Sie mutig genug, sich auf so ein Abenteuer einzulassen?
„In jeder Kirche gibt es einen Priester; in jeder Fabrik gibt es Knoop“, lässt ein russisches Sprichwort aus dem 19. Jahrhundert verlauten und weist damit auf einen der reichsten Unternehmer seiner Zeit hin: Den deutschen Baumwollhändler Ludwig Knoop, der als Pionier der russischen Textilindustrie bekannt wurde und von Alexander dem Zweiten den Barontitel verliehen bekam.
Der gebürtige Bremer arbeitete zunächst in der Manchester-Baumwollexportfirma „De Jersey & Co“ und kam im Jahr 1839 mit 18 Jahren nach Moskau, um als Assistent eines russischen Agenten zu arbeiten. Knoop war jung, tatkräftig und wusste schnell, wie er sich in Russland zu verhalten hatte: Er wusste, dass man, um in diesem Land erfolgreich zu sein, sich in das alltägliche Leben integrieren und mit russischen Geschäftsleuten bei langen Kneipengesprächen viel trinken musste, ohne seinen klaren Kopf zu verlieren!
Das Jahr 1847 stellte einen Wendepunkt in Knoops Karriere dar, da er dank der Aufhebung des britischen Exportverbots für Baumwollmaschinen seinen ersten Auftrag vom russischen Textilmagnaten Sawwa Morosow erhielt: Morosow bat Knoop, seine Baumwollspinnerei mit englischen Maschinen auszustatten.
England, das zu dem Zeitpunkt eine führende Rolle in der Textilindustrie einnahm, wollte sich in Russland keine Konkurrenz schaffen. Knoop konnte „De Jersey & Co“ jedoch überzeugen, die Frist für den Maschinenexportkredit gegen eine zukünftige Gewinnbeteiligung zu verlängern. Der Erfolg seines ersten Projekts führte dazu, dass Knoop zunehmend dabei half, den Textilsektor in Moskau sowie in den benachbarten Regionen, die unter mangelnder staatlicher Unterstützung und fehlenden Bankkrediten litten, zu modernisieren und neu auszustatten.
Die Krähnholm Textilmanufaktur in Narva wurde von Ludwig Knoop im Jahr 1857 gegründet.
Public domainDa dringend Männer, die russische Unternehmer mit ausländischen Lieferanten verbinden und Kredite bereitstellen konnten, gesucht wurden, entschloss Knoop sich, diese Lücke zu füllen und eröffnete im Jahr 1852 sein Unternehmen „L Knoop & Co“. Vier Jahre später, im Jahr 1856, ließ er auf der estnischen Insel Kreenholm die größte Baumwollspinnerei Europas errichten, die ihm schließlich ein Vermögen einbrachte. Er bot seinen russischen Kunden an, die Fabrik von Grund auf neu aufzubauen, sie mit englischen Baumwollmaschinen und englischen Technikern auszustatten, die die Maschinen die ersten Jahre instand halten würden. Er nahm dafür kein Geld, sondern wurde stattdessen Anteilseigner der neu gebauten Fabrik, die ihn später zu einem Aktionär dutzender Textilunternehmen machen würde.
Insgesamt war Knoop für die Ausrüstung von 187 Baumwollfabriken im ganzen Land verantwortlich und besaß selbst die größte Textilfabrik in Russland, was ihm die Möglichkeit gab, nicht nur die Preise für Baumwolle, sondern auch für alle anderen Textilien, die im Land verkauft wurden, zu bestimmen.
Im späteren Leben kehrte Lew Gerassimowitsch, wie er in russischer Manier genannt wurde, in seine Heimat Bremen zurück, stattete Russland jedoch ab und an einen Besuch ab, um sich um seine Geschäfte zu kümmern. Er starb im Jahr 1894 und hinterließ seinen beiden Söhnen zwölf Unternehmen, die allerdings die Revolution im Jahr 1917 und die Verstaatlichung nicht überlebten.
Der junge deutsche Unternehmer Ferdinand Theodor von Einem kam im Jahr 1850 nach Moskau, um in einem unbekannten Land erfolgreich zu werden. Er begann seine Karriere mit der Produktion von Würfelzucker und gründete im Jahr 1851 ein kleines Unternehmen, das auf der berühmten Arbatstraße Schokolade und Süßigkeiten herstellte. Schon bald dachte er aufgrund der hohen Nachfrage und mangelnden Konkurrenz darüber nach, sein Geschäft zu erweitern.
Im Jahr 1857 lernte von Einem seinen zukünftigen Geschäftspartner, Julius Heuss, kennen. Gemeinsam eröffneten sie im Jahr 1867 zunächst ein Geschäft am Theaterplatz und danach eine Fabrik am Sofijskajaufer. Von Einem stellte Arbeiter aus benachbarten Dörfern ein und baute für sie in der Nähe seiner Fabrik eine Unterkunft. Dort wurden bald auch eine Kantine und eine Schule für Kinder, die in der Fabrik arbeiten wollten, eröffnet. Ferner spendete von Einem einen Teil seiner Gewinne an Moskauer Wohltätigkeitsorganisationen und eine deutsche Armen- und Waisenschule.
"Versuch es mir wegzunehmen!", droht ein kleiner Junge, der einen Stock und eine Schokoladentafel von dem Süßwarenhersteller Einem in der Hand hält.
Public domainDie Marke „Einem“ war den Menschen in Russland zunehmend vertraut und bot ihren Kunden eine breite Palette an Produkten, von Keksen bis hin zu Früchten, die mit Schokolade überzogen waren und auffällige Verpackungen aus Seide, Samt und Leder aufwiesen, an. Vor allem im Bereich des Anzeigen- und Verpackungsdesigns kam Heuss’ Vorliebe für Kunstfotografie dem Unternehmen zugute.
Der Erfolg führte schließlich dazu, dass von Einem und sein Partner die Produktion erweiterten und zusätzliche Fabriken am Bersenewskajadamm eröffneten, die heute als „Roter Oktober“ bekannt sind. Anfang des 19. Jahrhunderts gehörte von Einem damit zu den fünf größten Süßwarenmarken in Russland und wurde im Jahr 1913 offizieller Lieferant des Zarenhofes.
Die Einem-Schokoladenfabrik an der Bersenewskaja-Uferstraße
Public domainLeider hat Fjodor Karlowitsch selbst, wie Einem in Russland genannt wurde, diese Entwicklung nicht mehr erlebt: Er übergab Heuss, der den Markennamen behielt, nach und nach die Kontrolle über sein Geschäft, und starb im Jahr 1876 in Berlin. Er wurde auf eigenen Wunsch hin in Moskau begraben, wo man bis heute an seinem Grab frische Blumen findet.
Der Gründer des Bieres „Schigulewskoje“, der österreichische Adlige Alfred von Vacano, war das sechste Kind in seiner Familie und wollte bereits in seiner Kindheit Bierbrauer werden. Im Zuge des Deutschen Krieges wurde von Vacano jedoch in die Armee eingezogen, im Krieg verletzt und anschließend gefangen genommen.
Nach dem Ende des Krieges fand sich von Vacano in Russland, genauer gesagt in Samara, wieder, wo er im Jahr 1880 die Behörden bat, ihm ein Landgrundstück für seine zukünftige Brauerei zur Verfügung zu stellen. Dort wurde daraufhin seine Brauerei gegründet, die zu einer der berühmtesten Biermarken in Russland heranwuchs.
Bevor er nach Russland kam, lernte von Vacano die Grundlagen des Bierbrauens in Deutschland sowie der heutigen Tschechischen Republik kennen. Später entwickelte er dann sein eigenes Rezept und stattete seine Fabrik mit der neuesten, innovativsten Technik, wie einem Förderband, einem Transporter, einen automatischen Zapfhahn und einen Dampfkesselraum mit dem größten Heizöllager, aus. Ferner waren die Wohnungen seiner Fabrikarbeiter die ersten Wohnungen in Samara, die mit einer Dampfheizung ausgestattet wurden.
In den Jahren 1881 bis 1905 wuchs das Produktionsvolumen seiner Fabrik um das Fünfzigfache, sodass er im Jahr 1911 drittgrößter Bierproduzent des Landes wurde und sein „flüssiges Gold“ in ganz Russland, Zentralasien und Persien verkaufte.
Von Vacano war jedoch nicht nur ein guter Unternehmer, sondern auch ein großzügiger Philanthrop. Da er in der Stadt Samara sein zweites Zuhause sah, gab er sein Bestes, die Lebensbedingungen der gesamten Bevölkerung zu verbessern. Aus diesem Grund ließ er dort unter anderem das erste Kraftwerk errichten und richtete eine Beleuchtung in der Fabrik, den Arbeiterheimen, dem örtlichen Dramatheater und dem Stadtpark ein. Zudem half von Vacano, ein funktionierendes Abwassersystem zu entwickeln, spendete regelmäßig Geld an das örtliche Waisenhaus, half dem Russischen Roten Kreuz und unterstützte die Veteranen des Russisch-Japanischen Krieges. Im Jahr 1899 erhielten er und seine Familie die russische Staatsbürgerschaft.
Brauereie "Schiguli" in Samara
Public domainMit Beginn des Ersten Weltkrieges wurde die Produktion von Bier eingestellt und die Räumlichkeiten der Fabrik für militärische Zwecke genutzt. Von Vacano ließ in der Zeit ein Krankenhaus in der Stadt errichten und versprach, bis zum Kriegsende alle Kosten für die Versorgung der Verletzten zu übernehmen. Trotz seiner ehrenvollen Absichten bekamen die Behörden jedoch den Verdacht, dass seine Familienangehörigen mit dem österreichischen und deutschen Geheimdienst zusammenarbeiten würden.
Schließlich wurde von Vacano mit 70 Jahren als deutscher Spion angeklagt und zusammen mit seinem Sohn Wladimir, der österreichischer Konsul war, in die Stadt Busuluk in der Region Orenburg verbannt. Von dort aus führte er seine Fabrik weiter, bis er, wie viele seiner Familienangehörigen, nach der Revolution in Jahre 1917 und der Machtergreifung der Bolschewiki nach Österreich emigrierte, wo er den Rest seines Lebens verbrachte.
Die Fabrik in Samara wurde in den darauffolgenden Jahren verstaatlicht. Sie blieb zwar bestehen, wurde jedoch nach den erfolglosen Versuchen von Vacanos Erben, ihr in den 1920er Jahren zu altem Glanz zu verhelfen, zusammen mit dem Braurezept der Familie von den russischen Behörden übernommen. Die Marke „Schigulewskoje“ hingegen hat überlebt, aber das ist eine Geschichte für sich.
Alle Rechte vorbehalten. Vervielfältigung ausschließlich unter Angabe der Quelle und aktiven Hyperlinks auf das Ausgangsmaterial gestattet.
Abonnieren Sie
unseren kostenlosen Newsletter!
Erhalten Sie die besten Geschichten der Woche direkt in Ihren Posteingang!