Татьяна Битюгина
Personal archiveIm Cockpit zu stehen ist ungewöhnlich und erschreckend, vor allem bei der Landung. Auch wenn man weiß, dass alles nicht real ist.
„Wo landen wir? Hier ist nur Wald.“
„Das ist Scheremetjewo, Moskau.“
„Dann bitte bei Sonnenaufgang oder Sonnenuntergang. Oder nachts, am besten in Dubai!“
Jekaterina Telepun ist eine der jüngsten Pilotinnen der Fluglinie Aeroflot. / RBTH
Der Flugsimulator, der ein Cockpit mit einer Genauigkeit von 99 Prozent kopiert, steht im überdachten Hangar. Bis auf die individuelle Auswahl der Flugbedingungen ist alles sehr realistisch. Beim Landen beugt sich die Kabine nach vorne, die Landebahn nähert sich so schnell, dass die hinter dem Piloten stehenden Beobachter nervös zu lachen beginnen.
Am Steuer sitzt Jekaterina Telepun, eine der jüngsten Pilotinnen der Fluglinie Aeroflot. Die 25-Jährige ist Copilotin auf Flügen mit der Airbus A320. Ihre Finger fliegen über die zahlreichen Knöpfe und Hebel – Zentrierung, Geschwindigkeit und Koordinaten. Dabei sieht Katja so zerbrechlich, schüchtern und jung aus, dass sie in der Uniform eher an eine Studentin im ersten Semester erinnert. Sie sieht der Heldin des russischen Blockbusters „The Crew" von 2016 ähnlich. Bei ihr handelt es sich um die Copilotin Alexandra, die sich für einen „Männerberuf“ entschied und dafür im Laufe des Films immer wieder angefeindet wird.
„Ist es Ihnen auch aufgefallen? Ich dachte mir wirklich, dass das Diskriminierung ist. So ist es im Film, in der Realität ist es anders.“ Katja schaut nur noch selten Filme, in denen Flugzeuge beinahe abstürzen und ehemalige Geheimdienstagenten letztendlich doch alle retten. „In der Akademie habe ich oft die Serie „Crash Investigation“ geschaut. Dabei habe ich gelernt, dass es interessant ist, Fehler von anderen zu sehen.“
"Ich fühle mich nicht anders, weil ich eine Frau bin", sagt Jekaterina. Schauen Sie ein Video über sie. Quelle: RBTH
Katja fliegt bereits seit zwei Jahren, im Schnitt 20 Flüge monatlich. An einem solchen Simulator arbeiten auch Piloten alle sechs Monate. Sogar diejenigen, die schon seit Jahren Passagiere von A nach B befördern. Das ist wichtig, um ungenutzte Fähigkeiten nicht zu verlernen, unter anderem auch für mögliche Notfälle.
„Ich habe in Kiew gewohnt und bin nach der Schule direkt auf die Flugakademie gegangen. Ich war die einzige Frau. Ich habe nie gehört, dass in Russland oder der Ukraine gleich fünf oder sechs Frauen in einem Kurs waren. Wieso? Das will man wohl nicht. Oder sie wissen nicht, dass es möglich ist. Man fragt mich oft, ob es in Russland überhaupt möglich sei. Dabei gibt es keine Hindernisse, niemand hat mich diskriminiert. Das Wichtigste ist die Gesundheit.“
Ein psychologischer Test aus 360 Fragen, ärztliche Untersuchungen, unter anderem auf Epilepsie: "Man hat mich in einen dunklen Raum gesetzt. Dort blinkten viele Lichter, die man anschauen musste", erinnert sich Katja. Wenn sie am Simulator ist, verschwindet ihre Schüchternheit. Sie versucht zu zählen, wie viele Pilotinnen es in ihrem Unternehmen gibt. Es sind nur etwas mehr als 20 bei insgesamt 2 353 Piloten. Fünf davon sind Kommandeure, die Katja nicht persönlich kennt. Sie sehen sich lediglich bei Einsatzbesprechungen.„Eine Besatzung kann nicht aus zwei Frauen bestehen – wohl aus Kompatibilitätsgründen. Ich kann es nicht genau erklären, aber das gibt es einfach nicht. In der Sowjetunion kam es vor, ich habe mal ein Foto mit ausschließlich Frauen gesehen.“
Für viele Menschen in Russland sind Pilotinnen Unsinn, ähnlich wie weibliche Panzerfahrer. Das ist exotisch. Die Stewardessen erzählen Katja, dass die Passagiere still würden, wenn sie Katjas Begrüßung hören. Das Flugzeug habe deshalb jedoch noch keiner verlassen, sagt Katja lachend.
„Insgesamt steht man in Russland Frauen in der Luftfahrt eher negativ als positiv gegenüber. Die Gesellschaft ist durchsetzt von Vorurteilen. Sie können sich nicht vorstellen, wie oft ich bereits auf Sexismus, Vorverurteilung, Diskriminierung und unschöne Kommentare gestoßen bin", erzählt die 22-jährige Tatjana Bitjugina. Sie stammt aus Jekaterinburg, 1 788 Kilometer von Moskau entfernt. „Man will dich nicht anstellen, weil dein Geschlecht nicht stimme. Viele drücken ihre Unzufriedenheit aus und wollen nicht mit einer Frau fliegen. Ich bin Feministin. Man kann keine sein, wenn man in diesem Bereich arbeitet.“
Tatjana Bitjuginа / Bild aus dem persöhnlichen Archiv
Ihre Laufbahn sei komplizierter als Katjas gewesen. Tatjana stammt ebenfalls aus einer Luftfahrer-Familie und wollte nicht über Papieren im Büro sitzen. Auch sie war die einzige Frau in ihrem Kurs. Ein halbes Jahr arbeitete sie an Bord eines Passagierhubschraubers Mi-8 mit Lederausstattung für VIP-Passagiere. Das sei nicht einfach gewesen: viele Geschäftsreisen, Wohnen mit der Besatzung, wenig Freizeit und kein Lebenspartner. Heute patrouilliert sie mit einem Mi-8 eine Pipeline auf Unfälle, Lecks und andere Probleme – aus einer Höhe von 50 bis 100 Meter. Dort nahm man sie mit der Bedingung, das Fliegen der Mi-8 zu lernen.
„Einen Hubschrauber zu fliegen ist schwieriger als ein schönes Linienflugzeug, da Hubschrauber lauter sind und vibrieren. Es riecht ständig nach Kerosin, die Arbeit ist härter und dreckiger. Die Bezahlung ist niedriger. Manchmal denkt man, dass man den Geruch nie loswird.“
Tatjana glaubt, dass es für eine Frau viel schwieriger sei als für einen Mann, in diesem Beruf voranzukommen. Sie müsse ständig beweisen, dass sie nicht schlechter sei. Deshalb müsse sie um Einiges besser sein als durchschnittliche Männer. Fehler würden Männern leichter verziehen. So etwas könne ja schließlich passieren. Bei einer Frau hingegen würde man sagen: „Eine Frau am Steuer ist wie ein Affe mit einer Granate.“
„Der Anteil der Frauen wächst dennoch. Sie sehen ausländische Pilotinnen und denken sich, dass sie das es auch schaffen können. Wieso sollte ich es nicht schaffen? Ich bin nicht schlechter. In Tjumen kam mal eine Stewardess zu mir, um ein Bild mit mir zu machen. Sie sagte, sie wolle zeigen, dass auch Frauen fliegen können.“
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