Immersives Theater wird nicht vom Inhalt der Show definiert, sondern von der Rolle des Publikums und dessen Erleben. Das Publikum ist nicht länger passiver Zuschauer, sondern aktiver Teilnehmer an den Geschichten rund herum.
Die Empfindungen, Emotionen und Neugier, die in der Show auftauchen, können Dir viel über Dich selbst lehren. Nicht nur, weil sich die Geschichte um Dich dreht, sondern auch, weil Du die Freiheit hast zu wählen, was diese Geschichte für Dich persönlich ist.
Die Immersion als Performance-Art wurde in den Zeiten des Völkermords in Kambodscha (Ende der 1970er Jahre) geboren. Es gibt keine Dokumente oder Beweise dafür – alles Filmmaterial wurde vernichtet. Aber damals beschlossen die Menschen, die Ereignisse auf künstlerische Weise nachzubilden. Sie wollten die Ereignisse rekonstruieren und noch einmal nachvollziehen.
Die (britische – Anm. d. Red.) Punchdrunk Theatre Company war dann die erste Theatergruppe, die immersive Shows als eigenständiges Genre aufführte und sie kommerziell erfolgreich und beliebt machten.
Wir verwenden eine amerikanische Trainingsmethode: Die Schauspieler üben, als Ensemble zu handeln, ihre Egos auszulöschen und ihren Geist zu öffnen, um mit dem Unerwarteten umgehen zu können.
Wir bringen unseren Schauspielern bei, wie sie Geschichten in ihrem Alltag finden. Wir lassen sie sich unwohl fühlen: zum Beispiel, sich in einem überfüllten öffentlichen Raum auf dem Boden niederzulassen, um zu spüren, wie das Unerwartete in die kollektive Normalität des täglichen Lebens übergeht.
Es gibt viel zu viele kleine humorvolle oder inspirierende Geschichten, die im Publikum entstehen. Aber für mich ist das Gefühl der stillen Kameradschaft wichtig – die subtilen Blicke, der Augenkontakt und die körperliche Nähe. Während der Show kümmert sich das Publikum weniger um seinen persönlichen Raum. Ich glaube auch, dass das immersive Theater in Russland so populär geworden ist, weil die Menschen hier in der Regel sehr angespannt sind und ihre Gefühle blockieren.
Marketing für immersives Theater ist immer schwierig, unabhängig davon, in welchem Land es stattfindet. Denn wir müssen das Publikum in eine von Emotionen und Stimmungen getriebene Welt verführen, ohne zuvor zu viel zu verraten. Es ist eine Herausforderung, das Geheimnis nur angedeutet zu erklären.
Der russische Theatergänger hat eine sehr intelligente und analytische Denkweise. Gleichzeitig heißt es: "Ich habe das Geld bezahlt, ich will also auch die ganze Show sehen und nichts verpassen." Das führt dazu, dass einige nach der Show frustriert sind. Sie haben hier selbst die Freiheit zu handeln, also sind Sie verantwortlich für den Inhalt, den Sie sehen und die Unterhaltung, die Sie bekommen.
Eine weitere Besonderheit des russischen Publikums ist, dass es sich nie an die Regeln hält. Die Leute versuchen immer, mit ihren Freunden zusammen zu bleiben – normalerweise ist das Publikum in mehrere Gruppen aufgeteilt und jeder beginnt die Show zu unterschiedlichen Zeiten.
So sagen manchmal Leute zu einem Schauspieler: "Hier, nimm die 200 Rubel und lass uns zur selben Zeit beginnen." Dabei ist es so wichtig, verschiedene Erfahrungen zu machen und sie dann mit den Freunden zu teilen, um die Puzzleteile zusammenzusetzen, zu kommunizieren, zu verstehen, was während der Show passiert ist.
Immersives Theater ist nicht nur Show, es ist keine Performance. Es ist echtes Leben!
Mehr über die russische Theaterwelt erfahren Sie hier:
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