Der Großteil von Moskaus Einwohnern stammt nicht aus Moskau. Meist handelt es sich dabei um Zugezogene, die sich, ob temporär oder nicht, in der Metropole niederlassen. Die einheimische Bevölkerung macht nur fast ein Viertel der Stadtbewohner aus. Ganze 72 Prozent fühlen und bezeichnen sich jedoch als Moskauer. Unter ihnen gibt es Arme und Reiche, Menschen mit Universitätsabschlüssen und ohne, Besitzer von Ein-Zimmer-Wohnungen am Stadtrand sowie Inhaber von Drei-Zimmer-Wohnungen im Zentrum. Wir beschreiben die Kodizes eines „echten“ Moskauers.
„Er sieht so aus, wie er möchte.“ Die Moskauer mögen Komfort und tragen zwanglose Kleidung. Sie scherzen auch gerne darüber, dass sie einen Radar für Schlussverkäufe haben.
In Wirklichkeit sind Einfachheit und Zweckmäßigkeit die zwei Worte, die das Erscheinungsbild eines Moskauers bestimmen. Je weniger Schnickschnack, desto besser. Er trägt Kleider, bei denen man die Marke nicht sieht, einen unscheinbaren Rucksack und „New Balance“-Schuhe. „Die Frauen in Moskau bemühen sich, sich so zu schminken, dass es nicht sofort ins Auge springt. Sogar bei den Abendveranstaltungen sieht man ein auffälliges Make-Up recht selten“, sagt der in Moskau geborene Iwan Astrow.
„Ich hasse es, wenn jemand da steht und sich dumm anstellt oder jemand vor mir langsamer geht, als ich“, sagt die Moskauerin Alexandra Lasarewa. Die Moskauer gehen für gewöhnlich schnell, auch wenn sie nicht in Eile sind. Der Lebensrhythmus in der Hauptstadt ist zu schnell, als das man sich gemächlich fortbewegen könnte – das gilt als Merkmal eines Menschen aus der Provinz.
Von einem Moskauer werden Sie Folgendes nicht hören: „Lassen Sie uns auf dem Roten Platz oder auf dem Maneschnaja Platz spazieren gehen.“ Ins Stadtzentrum kommt er nämlich nicht so oft, wie Sie vielleicht denken, außer er arbeitet da. „Ich mag das Zentrum und vor allem den Roten Platz nicht, da ich die Parks in meiner Gegend bevorzuge. Im Allgemeinen lieben Moskauer das eigene Viertel, es ist wie eine eigene Stadt“, sagt der Moskauer Sergej.
Es mag den Eindruck erwecken, als ob es im Leben eines Moskauers viele Stadtfestivals gibt. Allein im Jahre 2017 haben die Behörden der Hauptstadt für deren Organisation ungefähr eine halbe Milliarde Rubel, beziehungsweise 7,2 Millionen Euro ausgegeben. Aber auch dem ist nicht so. „Wir gehen mit unserer Ehefrau nicht zu allen möglichen Feierlichkeiten, dort sind keine Moskauer anwesend, wir mögen es nicht, auch keine Massenkonzerte. Die Moskauer sind ziemlich ruhige, selbstbewusste Menschen“, sagt Sergej.
Unter den sozialen Netzwerken nutzt der Moskauer am meisten Facebook, während der Rest von Russland – das russische soziale Netzwerk „VKontakte“ bevorzugt.
Bei den Moskauer Parks haben die Moskauer ihre eigenen Präferenzen: Auf dem ersten Platz liegen „Neskutschnyj Sad“ und in jüngster Zeit „Sarjadje“, auf dem zweiten Platz befindet sich „Aptekarskij ogorod“, der „Apothekengarten“. Danach folgen der Botanische Garten und „Sokolniki“. Und im Herbst fahren die Moskauer für einen Spaziergang gerne in ein Dorf in der Nähe von Moskau, zum ehemaligen „Archangelskoje“-Anwesen, oder zur nahe gelegenen alten Zarenresidenz „Kolomenskoje“.
Jeder Moskauer weiß, dass es im Südosten von Moskau Industriezonen, Staus, veraltete Stromleitungen und überfüllte U-Bahn-Waggons gibt. Es gilt die Faustregel, dass, je weiter man im Nordwesten wohnt, desto besser. Dort gibt es viel Grün und viele Parks, es ist sauber und ruhig.
Im Stadtzentrum leben viele aufgrund der hohen Miete in Wohngemeinschaften, es handelt sich dabei jedoch meist um junge und zugezogene Leute. Oder man lebt in Wohnungen, die man geerbt hat.
Die Bewohner von Moskau mögen Autos, steigen aber öfter auf die U-Bahn um, da sie schneller und billiger ist. „Manche Moskauer besitzen Autos, die eine Woche lang in der Garage stehen können, um dann damit am Wochenende einzukaufen oder am Sonntag ins Stadtzentrum zu fahren, wenn die Parkplätze umsonst sind. Manche fahren pro Jahr nur 5 000 Kilometer“, sagt der Hauptstadtbewohner Anton.
In der U-Bahn lesen die Moskauer die ganze Zeit Bücher. Und in überfüllten Waggons stellen sie nicht ihre Ellenbogen auf, um sich mehr Platz zu erkämpfen, sondern werden zu einer Säule, stampfen und warten geduldig auf ihre Haltestelle, während sie den Hinterkopf ihres Vordermannes vor der Nase spüren.
Wenn Moskauer die Rolltreppe aus der U-Bahn nehmen, drehen sie weder den Kopf nach links und rechts noch schauen sie sich die Werbetafeln an. Sie schauen vor sich hin, auf ihr Telefon oder ins Nichts.
„Ein echter Moskauer lebt mit Leichtigkeit und versucht niemandem etwas zu beweisen“, findet Karina Dolmatowa. „Wir prahlen wenig, möchten arbeiten, uns erholen, uns am Leben erfreuen.“ Unangemessen teure Kleidung, ein teures Auto und andere Attribute eines „reichen Lebens“ demonstrieren meist Leute, die keine Moskauer sind.
Es ist einfacher, einen typischen Einwohner der Hauptstadt aufgrund seiner Beziehung zu Entfernungen zu erkennen. Wenn der Weg in weniger als einer halben Stunde mit der U-Bahn oder mit dem Auto zurückgelegt werden kann, nennt man das „nebenan“. Ein anderer hingegen braucht von zu Hause bis zur Arbeit in eine Richtung zwei Stunden und hat sich schon lange daran gewöhnt.
Darüber hinaus werden in Moskau schon lange keine spontanen Mitfahrgelegenheiten auf der Straße gesucht, sondern Taxis genutzt. Gegessen wird zuhause. Vor dem Einsteigen in den Bus stehen die Leute schon an der Bushaltestelle Schlange und mögen die, die versuchen, sich vorzudrängeln, überhaupt nicht. Schließlich kennen typische Moskauer den Zeitplan der Staus, schimpfen über sie nicht und benutzen sie nicht als Ausreden, wenn sie zu spät zu einem Treffen kommen.
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