Junge russische Mütter im Teenageralter oder Anfang zwanzig sind für die Frauen in der westlichen Welt, die vor dem ersten Kind psychologisch und beruflich erst reifen möchten, oft eine Überraschung.
Die weit verbreitete Annahme, dass Paare, die in Russland zum ersten Mal Eltern werden, jünger als die meisten anderen Paare aus Industrieländern sind, ist nicht ganz richtig. Für die meisten russischen Frauen, die von Russia Beyond in Moskau interviewt wurden, liegt das optimale Alter für das erste Kind zwischen 25 und 30 Jahren.
„Wir wissen, dass das Durchschnittsalter bei der ersten Geburt in den letzten Jahren von 25 auf 25,5 Jahre gestiegen ist“, sagte (rus) der russische Minister für Arbeit und Soziales Maxim Topilin im Jahr 2017. Damit ist das Durchschnittsalter der Russen zwar niedriger als das der Europäer, befindet sich aber beispielsweise mit den Vereinigten Staaten auf einem Niveau. Dort wird das erste Kind durchschnittlich (eng) mit 26 Jahren geboren.
Soziologen zufolge unterlag das Durchschnittsalter der Mutter bei der Geburt in Russland in den letzten 50 Jahren einigen Schwankungen. Von 1960 bis 1994 sank es von 24,4 auf 22,5 Jahre und steigt seitdem stetig an, erklärte die Soziologieprofessorin an der Moskauer Staatlichen Universität für Internationale Beziehungen MGIMO, Antonina Noskowa, Russia Beyond. Laut Noskowa ist es schwer genau festzustellen, was zu diesen Schwankungen geführt hat, dennoch könne man daraus schließen, dass die russischen Mütter bei der ersten Geburt traditionell jünger sind, als in anderen Industrieländern.
„Aufgrund besonderer sozialer, kultureller, familiärer und anderer Faktoren hat sich bei uns in der Vergangenheit in diesem Bereich des menschlichen Verhaltens eine Art Norm des reproduktiven Verhaltens entwickelt, ergänzte Noskowa.
„Man muss viel in ein Kind investieren, ich hingegen kann mich kaum um mich selbst kümmern. Ich bin noch nicht bereit, Kinder zu haben“, sagte die 24-jährige Laura Nowikowa aus Moskau Russia Beyond.
Die Angst, für jemanden Verantwortung zu übernehmen, hält viele junge russische Frauen davon ab, Mutter zu werden. „Ich habe Angst, dass ich selbst noch ein Kind bin. Ich fürchte, für eine längere Zeit aus meinem Job auszusteigen und dann vielleicht nicht mehr zurückzukommen. Dazu kommen finanzielle Ängste“, sagte die 27-jährige Miroslawa Gudkowa.
Andere haben diese Wahl nicht, wenn sie ungewollt schwanger werden. Iwetta Newinnaja aus Moskau hat ihre Tochter bekommen, als sie 21 Jahre alt und Studentin an der Moskauer Staatlichen Universität war. Ohne einen klaren Plan für ihre Zukunft sowie die Tatsache, dass der biologische Vater des Kindes sie verließ, war es anfangs für die junge Frau als allein erziehende Mutter sehr schwer.
„Es war nicht einfach. Ich musste warten, bis mein Kind schläft und nachts meine Hausaufgaben für das Studium erledigen.“
Newinnaja musste sich auf die Hilfe und finanzielle Unterstützung ihrer Eltern und Freunde verlassen, da es bei einer 21-jährige Russin im Durchschnitt noch ein paar Jahre dauert, bis sie sich selbstständig und von seinen Eltern unabhängig machen kann.
„Ich wusste nicht, wohin mich mein Leben damals führen würde, doch mein Kind wurde zu meinem Leitstern: Ich wollte einen Abschluss machen und mehr erreichen. Ich glaube, es war eine gute Möglichkeit für mich“, sagte Newinnaja, die ihre Karriere mit einem Kind auf dem Arm begann.
Eine große Umfrage (rus), die im Jahr 2011 in Russland durchgeführt wurde, ergab, dass 37 Prozent aller Frauen, die zwischen den Jahren 2006 und 2011 Kinder gebaren, unabsichtlich schwanger wurden. Unter ihnen befindet sich eine beträchtliche Anzahl von Ersteltern, die keine andere Wahl haben, als ihre Kinder mit Hilfe ihrer Eltern aufzuziehen.
Für viele Russen, die sich bewusst dafür entscheiden, Kinder in ihren frühen Zwanzigern zu bekommen, überwiegen die Gefahren einer späten Elternschaft die Schwierigkeiten, denen junge Eltern gegenüberstehen.
„Angesichts der niedrigen Lebenserwartung (eng) in Russland ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass der Vater eines spät geborenen Kindes tot ist, bevor das Kind 20 Jahre alt wird, und die Mutter zu dieser Zeit vermutlich bereits ernsthaft erkrankt ist“, schrieb (rus) eine Frau in einem russischen Forum für Familienplanung.
Viele Ersteltern in Russland müssen deshalb eine schwierige Entscheidung treffen: Entweder verlassen sie sich in der Phase nach der Geburt auf ihre eigenen Eltern oder riskieren, ihrem Kind zusätzliche Verantwortung aufzubürden, wenn der Rückgang ihrer Erträge identisch mit dem Zeitpunkt ist, wo es am meisten ihre Unterstützung braucht.
„Ich bin ein spät geborenes Kind. Meine Eltern sind über 70 und ich bin 30 Jahre alt. Zudem habe ich ein eigenes Kind. Ich kann mir keine Karriere aufbauen, kann keine Arbeit finden, die meine finanziellen Probleme lösen würde, da ich sonst einfach nicht in der Lage wäre, mich um meine alternden Eltern zu kümmern“, schrieb (rus) eine Frau in einem russischen familienorientierten Forum.
In Russland verlassen sich alt werdende Eltern immer noch häufig auf die Unterstützung ihrer Kinder, nachdem sie in den Ruhestand sind, da die Rente (rus) oft gering ausfällt und nicht all ihre Bedürfnisse abdeckt.
Auch sozialer Druck, der die Entscheidung einiger Frauen, früher Kinder zu haben, beeinflusst, sorgt bei anderen, die noch nicht dazu bereit sind, für Unmut. „Besonders ärgerlich ist, dass das Dasein von Familie und Kindern als Indikator für die Selbstversorgung eines Menschen gilt. Bemerkungen wie „Bist du etwa noch nicht verheiratet?‘ oder ‚Es wird für dich Zeit zu heiraten‘ zu hören, ist furchtbar für eine junge Frau“, sagte die 27-jährige Miroslawa Gudkowa.
Doch natürlich ist es den Russen, wie allen anderen auch, freigestellt, ihre eigenen Vorstellungen über Kinder, Elternschaft und Familie zu entwickeln. „Es ist sehr wichtig, dass man eine eigene Sicht auf das Leben hat. Paare, die schwanger werden wollen, sollten nur auf sich hören, da die Gesellschaft beziehungsweise andere Menschen oft versuchen, ihnen ihre Stereotype aufzuzwingen“, sagte eine 28-jährige Mutter aus Moskau, Eleonora Lossan, zu Russia Beyond.
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