Wenn es um historische Anekdoten geht, fällt es einem nicht immer leicht, zwischen Wahrheit und Fiktion zu unterscheiden. Gleichwohl spiegeln die folgenden Anekdoten das öffentliche Bild der historischen Persönlichkeiten wider und vermitteln einen guten Eindruck davon, wie die Menschen zu der Zeit über ihre Herrscher dachten.
Willkommen in der Welt der Romanows – glorreich oder bemitleidenswert, schlau oder geradlinig – und wie sie ihre russischen Zeitgenossen sahen.
Peter der Große verwandelte Russland in ein mächtiges Imperium und galt privat als rücksichtslos, hart und schlau. Erzählungen zufolge soll er ein Mann mit vielen Talenten gewesen sein, der in gewöhnlicher Kleidung durch die Stadt spazierte, um so den Alltag seiner Untertanen kennenzulernen. Eine Anekdote berichtet davon:
Eines Tages reiste Peter der Große inkognito durch die Stadt, ging in eine russische Kneipe und trank dort ein Bier mit einem Soldaten, der sein Schwert verpfändet hatte. Der Soldat flüsterte Peter dem Ersten, den er für einen gewöhnlichen Trinkkumpanen hielt, dabei zu: „Wen interessiert es! Ich werde einfach einen Holzstab in die Schwertscheide stecken und niemandem wird es auffallen... später kaufe ich mein Schwert wieder frei.“
Am nächsten Tag fand eine Militärparade statt, bei der Peter der Große den Soldaten bemerkte, anhielt und ihm befahl: „Greif mich mit dem Schwert an!“ Der Soldat zitterte. Der Zar wiederholte: „Greif an, oder ich lasse dich erhängen!“ Also griff der Soldat zum Holzschwert und schrie: „Gott im Himmel, verwandle meine Waffe auf wundersame Weise in einen Stock!“ Der Stock brach, der Zar blieb unverletzt und der Priester pries mit der Menge den Herren: „Gott hat den Zaren gerettet!“ Peter der Große lachte und flüsterte dem Soldaten zu: „Du bist ein gewitzter Bastard, oder?“
Nach einer fünftägigen Haftstrafe wurde der Soldat schließlich vom Zaren an der Seefahrtschule aufgenommen.
Paul der Erste galt als überzeugter Anhänger der strengen deutschen Disziplin, wie folgende grausame Anekdote unter Beweis stellt:
Eines Tages legte eine Kavallerieeinheit in einem russischen Dorf eine Erholungspause ein. Es stellte sich jedoch heraus, dass es im Dorf nur einen Händler gab, der für die Pferde Heu übrighatte und es zu einem sehr hohen Preis verkaufen wollte. Der Kommandant der Staffel befahl stattdessen, sich das Heu anzueignen und murrte, dass dieser Händler „den Strick verdient“ hätte. Unglücklicherweise nahmen seine Soldaten diesen Ausspruch wörtlich und hängten den Händler auf. Nachdem der Kommandant von diesem traurigen Vorfall Bericht erstattet hatte, erließ Paul der Erste ein Dekret, in dem er zwar dem Kommandanten einen niedrigeren Rang zuwies, ihn aber auch für die ausgezeichnete Disziplin seiner Soldaten lobte, da sie selbst die unsinnigsten Befehle sofort ausführen würden.
Pauls Sohn, Alexander der Erste, avancierte nach dem Sieg über Napoleon im Jahre 1812 zu einem echten europäischen Star. Auch dazu gibt es eine spannende Geschichte:
Kurz bevor Napoleon im Jahr 1812 den Krieg erklärte, schickte er seinem Botschafter in Russland, Graf de Caulaincourt, einen Brief: „Frankreich ist friedlicher gestimmt als je zuvor und wird daher die Zahl seiner Truppen nicht erhöhen.“ Caulaincourt ging daraufhin zum Zaren, um ihn von dieser Nachricht zu überzeugen.
Zu dieser Zeit wusste Alexander der Erste jedoch bereits, dass Napoleon sich auf den Krieg vorbereitete und antwortete dem Diplomaten: „Herr Botschafter, es widerspricht jeder Information, die ich erhalten habe, aber wenn Sie sagen, dass Sie es glauben, werde ich Ihnen zuliebe meine Meinung ändern.“
Peinlich berührt stand Caulaincourt auf, verbeugte sich und verließ wortlos das Zimmer.
Nikolaus der Erste war als strenger Herrscher bekannt, der sein Reich mit eiserner Faust regierte. „Er verteilte eine Menge Haftbefehle und nur wenig von Peter dem Großen wohnte seiner Seele inne“, schrieb der Dichter Alexander Puschkin einst über ihn.
Dennoch hatte Nikolaus der Erste, wie es die folgenden zwei Anekdoten beweisen, durchaus Humor:
Eines Tages spielten einige Pagen in seinem Thronsaal und glaubten, dass niemand ihnen zusehen würde. Plötzlich erschien Nikolaus der Erste und packte einen, der gerade auf seinem Thron saß, am Ohr. Entsetzt wartete der Junge auf seine Strafe, doch der Zar lächelte und sagte: „Junge, glaube mir, auf diesem Stuhl zu sitzen ist weitaus weniger spaßig, als du glaubst.“
***
Erbost über die Korruption, die seinerzeit in Russland herrschte, meinte Nikolaus der Erste einst zu seinem Erben: „Manchmal denke ich, dass es nur zwei Menschen im Reich gibt, die nicht klauen. Du und ich!“
Zar Alexander der Zweite, der für die Abschaffung der Leibeigenschaft bekannt ist, soll seinerseits einmal erklärt haben, dass es zwar nicht schwer sei, Russland zu regieren, aber vollkommen nutzlos. Auch sonst war, wie es die folgende Geschichte beweist, der Humor des Zaren recht düster:
Bei einem Besuch in einer kleinen russischen Stadt beschloss Alexander der Zweite einst, eine Kirche zu betreten, in der ein wichtiger Gottesdienst abgehalten wurde. Das Gebäude war jedoch derart überfüllt, dass der örtliche Polizeichef dem Zaren vorauseilen und ihm den Weg freimachen musste. „Vorsicht! Achtung!“, schrie der Polizist und schob dabei alle grob beiseite. Der Zar, der die Worte des Polizeichefs hörte, lachte und sagte, dass er nun einen Eindruck davon habe, wie man in Russland Achtung und Respekt lehren würde.
Alexander der Dritte wurde oft als echter russischer Kerl mit athletischer, hoch gewachsener Statur und langem Bart beschrieben. Dennoch floss, wie bei vielen späten Romanows, wenig ethnisches russisches Blut durch seine Adern. Einst beschloss der Zar daher einen Historiker über seine Herkunft zu befragen:
„Wer war der Vater von Paul dem Ersten?“ [Pauls Mutter, Katharina die Große, hatte eine so schlechte Beziehung zu ihrem Mann, dass es Gerüchte gab, nicht er, sondern einer ihrer Liebhaber wäre Pauls Vater.]
„Ich kann es Ihnen nicht verheimlichen, Majestät... Es gibt Gerüchte, dass Ihr echter Ururgroßvater Graf Saltykow gewesen ist.“
„Gott sei Dank! In diesem Fall fließt also doch etwas russisches Blut durch meine Adern!“
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