Russland, ein Wintermärchen. Schnee und Eis bedecken Straßen und Felder, in manchen Regionen monatelang. Im fernen Deutschland wird es derweil drinnen wohlig warm. Nicht selten stammt diese Wärme aus Sibirien. Etwa die Hälfte der Wohnungen in Deutschland wird mit Erdgas geheizt. Insgesamt stammen rund vierzig Prozent des in Deutschland verbrauchten Erdgases aus Russland.
Das Gas mehrere tausend Kilometer gen Westen zu transportieren, ist kompliziertes Unterfangen, an dem von der ersten Bohrung bis zur blau schimmernden Flamme viele Unternehmen beteiligt sind. Eines ist die VNG – Verbundnetz Gas Aktiengesellschaft aus Leipzig, Erdgasgroßhändler und zugleich das Mutterunternehmen der VNG-Gruppe. Zu DDR-Zeiten war ihr Vorgänger der Pionier beim Import von russischem Erdgas und sorgte mit dafür, dass im Mai 1973 im sächsischen Erzgebirge erstmals russisches Gas nach Ostdeutschland strömte. Wenige Monate später floss es dann sogar bis Westdeutschland. Die Bundesrepublik hatte Röhren für die Pipelines geliefert und bezog dafür fortan sowjetisches Gas. Seitdem kamen mehr als eine Billion Kubikmeter Erdgas in Deutschland an. Über ein Viertel davon importierte VNG, um es an Stadtwerke oder die Industrie zu verkaufen.
Der Untergrundspeicher "Katharina" von VNG und Gazprom in Peißen bei Bernburg
AHK / Hans-Jürgen BurkardBis 2006 war das einfach. Importeure schlossen Verträge mit russischen oder anderen europäischen Partnern, die mehrere Jahre, oft sogar Jahrzehnte lang die Geschäftsbeziehungen regelten. Änderte sich der Gaspreis auf dem Weltmarkt, wurde nachverhandelt und der Vertrag angepasst. Aus Westeuropa flossen beständig die Gelder, die es möglich machten, neue Gasfelder zu erschließen. Und aus Russland floss ebenso beständig das Gas.
Heute bezieht VNG nur noch einen Teil des Rohstoffs auf Grundlage langfristiger Verträge, davon knapp die Hälfte aus Russland. Das meiste Gas beschaffen die Leipziger mittlerweile an der Energiebörse. Wo das Erdgas herkommt – ob zum Beispiel aus Sibirien oder Norwegen – spielt am Ende keine Rolle. „Leider wird heute oft vergessen, dass ein großer Teil der gelieferten Mengen von den Produzenten kommt, die damit die Versorgungssicherheit in Europa gewährleisten“, bedauert Konstantin von Oldenburg, der bei VNG das Handelsgeschäft leitet. „Der deutschen Öffentlichkeit ist nicht klar, wie wertvoll die Partnerschaft mit den russischen Partnern für unsere Versorgungssicherheit ist“, so von Oldenburg. Er und seine Kollegen sind sich dessen wohl bewusst. „Deshalb pflegen wir die Kontakte zu russischen Unternehmen wie in der Vergangenheit weiterhin intensiv.“
Das Gasfeld Juschno Russkoje liegt mehr als 3000 Kilometer nordöstlich von Moskau im Autonomen Kreis der Jamal-Nenzen in Westsibirien.
AHK / Hans-Jürgen BurkhardKaum ein deutsches Unternehmen hat so tiefe Beziehungen zu Russland wie Wintershall. Bis zu viertausend Meter tief sind sie an manchen Stellen. Denn so tief unter der russischen Erde bohrt die BASF-Tochter aus Kassel nach Öl und Gas. Sie fördert die Rohstoffe nicht allein, sondern mit den russischen Energiegiganten Lukoil und Gazprom.
Langsam aber beständig schraubt sich dort der Bohrkopf in den sibirischen Permafrostboden am Polarkreis. Wenn es gut geht, schafft er dreihundert, in den dicken Gesteinsschichten weiter unten nur noch wenige Meter am Tag. Er bohrt pausenlos, bis er nach drei Monaten sein Ziel erreicht: Erdgas, das viertausend Meter tief in der sibirischen Tundra verborgen liegt.
Das Gasfeld Juschno Russkoje verfügt über förderbare Reserven von mehr als sechshundert Milliarden Kubikmeter Erdgas.
AHK / Hans-Jürgen BurkardVor fünfzig Jahren gab es dort noch nichts als Eis und Schnee und eine kleine Siedlung. Erst als die unterirdischen Schätze entdeckt wurden, entstand die Stadt Nowyj Urengoj, die heute die Gashauptstadt Russlands ist. Jeder fünfte Rubel des Staatshaushalts wird hier erwirtschaftet. Die Lagerstätte Urengoj ist eine der größten der Welt. Mit den Vorkommen könnten alle Wohnhäuser zwischen London und Wladiwostok zehn Jahre lang mit Licht und Wärme versorgt werden. Einen Teil dieser Reserven erschließt Wintershall mit Gazprom als Joint Venture Achimgaz.
Über dreihundert Menschen arbeiten in Nowyj Urengoj bei bis zu minus fünfzig Grad Außentemperatur in Schichten rund um die Uhr, 365 Tage im Jahr. „Deutsche und Russen haben hier schwierige Aufgaben gemeistert, das schweißt zusammen“, sagt der stellvertretende Direktor von Achimgaz Ingo Neubert. In drei Jahrzehnten will Achimgaz bis zu 230 Milliarden Kubikmeter Erdgas fördern, fast so viel wie Deutschland in drei Jahren verbraucht.
Insgesamt 35 Unternehmensporträts, Interviews mit den Schlüsselfiguren im deutsch-russischen Geschäftsfeld und vieles mehr können Sie im Sammelband „Die Russland-Meister“ der AHK Russland sowie der dazugehörigen Webseite www.russlandmeister.ru nachlesen.
Hier geht's zum ersten Teil der Serie - über Siemens und Volkswagen in Russland:
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