Der Konvoj der RA-53 erreicht die Kola-Halbinsel, 1. März 1943
Königliches Kriegsmuseum LondonDer damalige britische Premierminister Winston Churchill nannte sie „die schlimmste Reise der Welt“, als rund 80 Marine Konvois der Briten und Amerikaner zwischen August 1941 und Mai 1945 unter Lebensgefahr in die Sowjetunion reisten, um dem Verbündeten gegen Hitlerdeutschland zu helfen. Der US-Amerikaner Herman E. Melton war einer der Besatzungsmitglieder der Arktis-Touren, die viele Menschenleben kosteten. Seine Erinnerungen veröffentlichte er in dem Buch „Krieg um die Freiheit: Erinnerungen eines Ingenieurs der Handelsmarine, 1942 – 1945“.
Darin beschreibt er wie er als junger Soldat von der US-Handelsmarineakademie auf das Freiheitsschiff „Cornelius Harnett“ geschickt wurde. Er erzählt vom Alltag der Crew, den Tagen in der nordrussischen Hafenstadt Murmansk und enthüllt viele unbekannte Details der Konvois.
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Herman Melton, Juli 1943
H. Edgar Melton, Jr.Anderson (der Chefingenieur – Anm. d. Red.) hat mir auch oft dabei geholfen, die Einsätze unserer Reise zu verstehen. Zu diesem Zeitpunkt stand die UdSSR mit dem Rücken zur Wand. Leningrad und Stalingrad wurden von der Deutschen Wehrmacht belagert. Die Handelsroute nach Murmansk war für die Russen überlebenswichtig.
Ohne die mit Lebensmitteln aus dem amerikanischen Armeearsenal beladenen Schiffe hätte die UdSSR die Invasion der Deutschen in Russland nicht zurückschlagen können. Josef Stalin forderte Unterstützung und Roosevelt drängte Großbritanniens Premier Winston Churchill dazu, die amerikanischen Handelsschiffe zu schützen, die aber Sowjetunion. Als die Lage im Sommer 1942 völlig aussichtslos schien, schrieb Churchill der Admiralität, dass der folgende Konvoi „schon gerechtfertigt ist, wenn die Hälfte (der Schiffe – Anm. d. Red.) durchkommt. Ein Fehler auf unserer Seite würde den Anschein erwecken, dass unser Einfluss auf unsere zwei großen Verbündeten geschwächt sei.“
Während des Kriegsverlaufes brachten die Handelsschiffe alles – vom Schuh bis zum Kampfflieger. Dabei passierten sie die gefährlichsten aller Routen für Handelsseeleute im Zweiten Weltkrieg. Von den 800 Schiffen, die nach Murmansk aufgebrochen waren, kehrten 97 nicht zurück. Stürme, Eis, Minen, Kollisionen, Feuer, U-Boote und die deutsche Luftwaffe forderten viele Opfer. Etwa 3000 Alliierten-Matrosen verloren auf den Russland-Konvois ihr Leben.
Die SS Cornelius Harnett im Hafen Newport News, Virginia, Juni 1945
Bibliothek VirginiaEs gibt ausgezeichnete Aufnahmen aus der Kriegszeit, die den Umfang der Hilfslieferungen an die UdSSR über Murmansk belegen. Die Schiffe brachten über die Nordrussland-Route mehr als 3,9 Millionen Tonnen Güter der Alliierten in die Sowjetunion. Von all den amerikanischen Hilfsgütern für die Sowjets wurde fast ein Viertel über den schmalen Arktis-Korridor transportiert. Bis zum Kriegsende betrugen die Transporte in die Sowjetunion 14.795 Flugzeuge, 7537 Panzer, 471.257 Lkws, Jeeps, Traktoren und Motorräder, 11.155 Eisenbahnwaggons und 1981 Lokomotiven. Die „Harnett“ beispielsweise brachte eine Dampflokomotive mit, um weiteres Kriegsmaterial von den Konvois von Murmansk an die Front zu bringen. Dampfloks waren damals so dringend nötig, dass auch noch zwei weitere Schiffe (eines von ihnen war die „Nicholas Gilman“) weitere Lokomotiven lieferten – in der Hoffnung, dass wenigstens eine wohlbehalten ankomme.
Die Konvois nach Nordrussland lieferten außerdem mehr als 345.000 Tonnen Munition und TNT. An Bord der „Harnett“ transportierten wir auch Sprengstoffe, was unser Risiko mächtig erhöhte. Wenn die Frachtschiffe mit geladenem TNT von Torpedos getroffen wurden, wurden so starke Explosionen ausgelöst, dass von den Schiffen selbst wenig überblieb. Das lernte ich dann während meiner Zeit auf den Philippinen 1944.
Deutsche Stukas (Sturzkampfflugzeuge) attackieren den Konvoj am Hafen von Murmansk.
Gemälde von Jim RaeAls die Gefahr dann immer größer und größer wurde, flüchtete ich mich vor der Angst in meine Studien, die mir halfen, meinen Kopf wenigstens für einige Momente von den Risiken zu befreien, denen ich mich aussetzte. Es gab ja auch ruhige Momente. Trotz der in die Knochen fahrenden windigen Kälte waren meine Wachschichten an Deck oft geprägt von spektakulären Lichtshows der Aurora Borealis, den Nordlichtern, die jede Farbe des Spektrums abdecken konnten. Aber auch Feuerwerke einer anderen Art standen der „Harnett“ noch bevor.
[…]
Bei meinem letzten Besuch in Murmansk am 27. Februar sah ich, wie ein (deutsches Sturzkampfflugzeug – Anm. d. Red.) Stuka das (Handelsschiff – Anm. d. Red.) „El Oriente“ tödlich attackierte. Ich war allein und musste zahlreiche Tore passieren, um den Steg zu verlassen. an jedem stand als Kontrollposten eine Frau mit Gewehr und Bajonett. Der einzige englische Satz, den sie kannten, war: „Ihren Pass bitte, Genosse!“ Nach dem letzten Tor erreichte ich die Straßen der Stadt und bald einen Hügel über dem Hafen. Als ich von dort aus auf die Anlegestellen schaute, hörte ich plötzlich das fürchterliche Dröhnen eines Stuke-Sturzfliegers, das den Steg links von mir anpeilte. Das Stuka stoppte seinen Sturzflug erst, als seine Bombe ins Deck der „El Oriente“ einschlug, das Schiff außer Betrieb setzte und vier der bewaffneten Wachposten tötete. Mich schüttelte es, denn die „El Oriente“ stand am selben Dock wie die „Harnett“. Aber irgendwie konnte die „El Oriente“ dann wieder repariert werden und sie schloss sich unserem Konvoi an, der drei Tage später ablegte.
Ruinen von Murmansk am Ende des Zweiten Weltkriegs
Jewgenij Chaldej/TASSAuch James Harcus von der (britischen) „Ocean Faith“ erwähnte die Flugbombe auf die „El Oriente“ in seinem Tagebuch. Dabei nannte er das Schiff „die Lorentis“:
Samstag, der 27.
Heute hatten wir einen schönen klaren Tag &ließen uns zu einem ruhigen Nachmittag nieder, als wir plötzlich einen Sturzflug hörten. Der Flieger warf eine Bombe steuerbord unweit von uns & eine weitere auf ein Schiff in der Werft, die wir am Dienstag verlassen hatten. Einige der Jungs erzählten uns, dass das Schiff unseren Platz eingenommen hatte, eine gewisse panamaische “Lorentis” & sie lag andersherum als wir & wurde rechts am Heck an der Gewehrgrube getroffen, einige Unbekannte wurden getötet.
Später, als die “Ocean Faith” bereits in einer anderen Werft angelegt hatte, bemerkte Harcus noch ein weiteres Schiff: Die „Empire Portia“ war losgemacht worden und trieb, in Flammen stehend, mit der Strömung davon. Ein weiteres Stuka-Opfer. Außerdem beschreibt er, wie vier deutsche Kampfflieger Murmansk angriffen, Minen in den Fluss warfen und den Hafen so für den Schiffsverkehr abriegelten, solange die Minensuchtrupps den Kanal nicht gesäubert hatten.
Überall in Murmansk gab es Arbeiterinnen, sie stellten den Großteil der Schauerleute und entluden die Schiffe. Ihre Schichten dauerten 24 Stunden, dann einen Tag Ruhetag. Aber es gab keine Verbrüderung und nicht alle Annäherungsversuche beantworteten sie freundlich. Russische Männer versuchten das auch gar nicht, wie wir beobachten konnten. Alle Männer, die wir sahen, würden bei einer amerikanischen Musterung als 4-F kategorisiert. Alle gesunden, starken Männer waren an der Front.
Medaillenvergabe in der Russischen Botschaft in Washington D.C., 8. Dezember 1992
Private Sammlung Herman MeltonIch glaube, viele der russischen Arbeiter dort waren politische Gefangene, die zu Sklavenarbeit und Hunger gezwungen wurden. in einer Geschichte, die ich später über das Abladen der „Harnett“-Güter hörte, gehörte ein Schauermann, der beim Essen aus einer Fleischdose erwischt wurde. Diese war wohl bei einem Unfall mit der Frachtschlinge kaputt gegangen. Als der hungrige Arbeiter den ausgelaufenen Inhalt aufkratzen wollte, erwischte ihn der Wachmann, schleppte ihn hinter den Container und erschoss ihn an Ort und Stelle. Solche Geschichten trugen natürlich viel zu der depressiven Atmosphäre über Murmansk bei.
©2017 Will Melton, Übersetzung: Russia Beyond
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