1936 reiste der Sowjetische Volkskommissar für die Lebensmittelindustrie, Anastas Mikojan, in die USA, um sich dort über Massenproduktion zu informieren. In seinen Memoiren schrieb er, dass nach dem Fall des Zarenreichs in der noch jungen Sowjetunion die Lebensmittelproduktion noch ein bäuerliches Gewerbe gewesen sei, statt Industrie. In den USA war man bereits weiter und hatte eine funktionierende Massenproduktion mit verbindlichen Qualitätsstandards.
Der Volkskommissar verbrachte drei Monate in Übersee und kam mit neuer Ausrüstung im Gepäck zurück: Kühleinheiten, Brotbackmaschinen, Melkmaschinen und anderen interessanten Technologien. Neben der Ausrüstung brachte er auch neue Lebensmittel und kulinarische Traditionen mit ins Land, von denen er viele in seinem drei Jahre später veröffentlichten Volkskochbuch „Buch der schmackhaften und gesunden Küche” vorstellte.
Buletten im Brötchen gefielen dem Volkskommissar besonders. Dazu süße Limonade zu trinken, sei eine ursprünglich sowjetische Tradition, heißt es. Mikojan kaufte 25 Maschinen zur Buletten-Produktion. Kurz darauf wurden in den Straßen von Moskau, Leningrad, Kiew und Charkow die ersten Burger verkauft – für 50 Kopeken. Die Technologie für die Produktion der Burger-Brötchen hatte man sich ebenfalls von den USA abgeschaut.
"Heiße Moskauer Buletten im Brot für 50 Kopeken"
ArchivfotoEs war nicht mehr genug Geld übrig, um das Coca-Cola-Konzentrat zu kaufen. Daher wurden zu den Hamburgern, die in der Sowjetunion „Chamburgery” hießen, kohlensäurehaltige Fruchtsäfte verkauft. In den USA kam dies erst mit der Eröffnung des ersten McDonald‘s Restaurants im Jahr 1940 auf. Während des Krieges stand keinem der Sinn nach Schnellimbiss, die Hamburger-Produktion kam zum Erliegen und alles Amerikanische wurde fortan kritisch betrachtet. Erst in den letzten Jahren der Sowjetunion erlebten die Burger ihr Comeback. Die Produktion wurde fortgesetzt: gefrorene Buletten, fertig zur Verarbeitung, wurden überall im Land verkauft.
In Amerika hat Mikojan die Tradition kennengelernt, Orangensaft zum Frühstück zu trinken. Doch da unter den klimatischen Bedingungen in der Sowjetunion keine Orangen angebaut werden konnten, entschied man sich, stattdessen Tomatensaft zu produzieren. Zunächst kam der gar nicht gut an, doch eine groß angelegte Werbekampagne war erfolgreich. Tomatensaft gab es seitdem überall: in Kindergräten, Schulen, Kantinen, Gemüseläden und Restaurants.
Im Jahr 1960 waren weitere Säfte dazugekommen, darunter Birne, Apfel und Pflaume. Die Säfte wurden bevorzugt in Glasflaschen verkauft, statt in Kartons. Alle Zutaten waren selbstverständlich naturbelassen.
Diese Würzsauce erschien in der Sowjetunion ab 1930. Sie wurde nicht nur zum Fleisch empfohlen, sondern auch für Suppen. In Nachkriegsauflagen vom „Buch der schmackhaften und gesunden Küche“ wurde Ketchup jedoch durch Tomatenmark und passierte Tomaten ersetzt. Dadurch verschwand der Ketchup auch aus den Geschäften. Erst 1980 kehrte er in die Auslagen zurück. Er wurde aus Bulgarien, Ungarn und Jugoslawien importiert.
"In den USA steht eine Flasche Ketschup auf jedem Restauranttisch und in jedem Küchenschrank"
ArchivfotoIn den USA hatte Mikojan vor allem Kühlausrüstungen und Fertigungsstraßen für die Produktion von Konserven, unter anderem für Dosenfleisch und Kondensmilch, eingekauft. Dosenfleisch und Fisch aus der Dose wurden als Hauptbestandteil von Mittag- oder Abendessen empfohlen. Konservenobst und -gemüse kam im Winter auf den Teller.
In Mikojans Buch lautet ein Rezeptvorschlag, gefrorene Buletten zu braten und dazu als Beilage grüne Erbsen aus der Dose und einen Salat aus Krabben, ebenfalls aus der Dose, und Mayonnaise zu servieren. Statt Fleischbrühe selbst zuzubereiten, was stundenlang dauerte, wurde die Verwendung von Pulver, das in heißem Wasser aufgelöst wird, empfohlen.
Mikojan hatte in einer Fleischfabrik in Chicago einen Einblick in die Massenproduktion von Würstchen bekommen. Noch im gleichen Jahr, 1936, eröffnete die erste Würstchenfabrik in Moskau. Dort wurden fettarme, aber proteinreiche Würste hergestellt.
Alle Zutaten waren natürlich, so wie es vor dem Krieg häufig der Fall war in der Nahrungsmittelproduktion. Diese Wurst wurde sogar Kranken verschrieben, die längere Zeit unter Mangelernährung gelitten hatten. So bekam sie den Namen „Doktorwurst”.
In der ersten Ausgabe des Buches hießen sie “Kornfleks” und es wurde zum Verzehr mit Sauerrahm, Milch oder Kissel (ein traditionelles russisches Getränk aus Beeren oder Früchten, das mit Stärke angedickt wurde) geraten.
"Lecker und nahrhaft! Die Cornflakes schmecken mit Milch, Kissel, Smjetana, Brühe, Tee und Kaffee"
S. SamburskiDieses amerikanische Produkt fand großen Anklang bei den Sowjetbürgern und die Produktion von Frühstückszerealien stieg von Jahr zu Jahr. In den 1950er Jahren, nachdem Nikita Chruschtschow von einer USA-Reise zurückgekehrt war, sollte Mais zum wichtigsten landwirtschaftlichen Produkt des Landes werden. Puffmais, Maisbrot und sogar Maiswurst tauchten plötzlich in den Läden auf. Doch in der Mitte der 60er Jahre gab es große Ernteausfälle und die Produktion dieser Produkte ging wieder zurück.
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