Zu den offiziellen Staatssymbolen Russlands gehörte der Bär tatsächlich nie. Die Rolle des Wappentiers übernimmt heute, wie schon zu Zarenzeiten, der zweiköpfige Adler. Dennoch wird Russland insbesondere im Ausland oft mit einem Bären in Verbindung gebracht. Irgendwann glaubten dann so viele Leute daran, dass wir es selbst übernahmen. Bei der Abschlusszeremonie der Olympischen Spiele 1980 ließ man einen riesigen bärenförmigen Luftballon in den Himmel steigen, viele Veranstaltungen in Russland verwenden den Bären als Maskottchen und die größte politische Partei des Landes nutzt einen Bären als Symbol. Vermutlich ist dies einfacher, als jedem zu erklären, dass der Bär kein offizielles Symbol für Russland ist. Aber versuchen wir es trotzdem…
Tatsächlich sind Bären in Russland verbreitet und oft auch respektiert. Für die slawischen Heiden war der Bär zum Beispiel so etwas wie ein Totemtier. Im Mittelalter tourten dann Zirkustruppen mit gezähmten, Kunststücke aufführenden Bären durchs Land.
Ein weiterer „Verwendungszweck“ für Bären waren im frühen Mittelalter und zu Zeiten Iwan des Schrecklichen Hinrichtungen. Manche Verurteilte wurden einem Bären zum Fraß vorgeworfen, andere Unglückliche wickelte man in ein Bärenfell ein und hetzte dann Hunde auf sie.
Der Jäger kämpft gegen den Bären für den Spaß des Zaren
Wladimir Wdowin/SputnikDoch diese Horrorstorys machten den Bären noch nicht zum internationalen Symbol für Russland. Stattdessen waren es Leute wie der österreichische Diplomat Siegmund von Herberstein, der 1526 schrieb: „Im russischen Winter verlassen hungrige Bären die Wälder und kommen auf der Suche nach Essbarem in die Dörfer. Dort brechen sie in Häuser ein und zwingen die Bewohner zur Flucht in die Kälte. Viele erfrieren dort draußen und sterben qualvoll.“ Das Bild von freilaufenden Bären auf russischen Straßen wurde später auch von italienischen, polnischen, britischen, deutschen und niederländischen Reisenden bestätigt. Bei manchen hält es sich bis heute.
Endgültig verbreitete sich das Klischee dann durch englische Handelsreisende, die seit Mitte des 16. Jahrhunderts regelmäßig nach Russland kamen. Die Waren, die sie mitbrachten, prägten auch das Russlandbild der Engländer: Honig, Felle, Wolle, Wachs und Bärenfett. Was für Frankreich das Croissant ist, war für das damalige Russland Bärenfett.
Tatsächlich kam das angebliche Bärenfett oft nicht von russischen Bären, sondern von gewöhnlichen, englischen Schweinen. Verkaufen tat es sich dennoch gut. Die findigen Kaufleute erklärten den Briten nämlich, dass Bärenfett den Haarwuchs anrege. Bären sind ja schließlich auch haarig. Die über ihre Glatzköpfigkeit verzweifelten Engländer glaubten es und da der vermeintliche Alpecin-Vorläufer angeblich aus dem fernen Russland importiert werden musste, konnten die Kaufleute exorbitante Preise verlangen.
Ein weiterer Grund dafür, dass der Bär zum russischen Nationalsymbol wurde, war die Bärenakademie in Smorgon. Auf dieser privaten „Schule“ (der Name Akademie ist zugegebenermaßen etwas hochgegriffen) wurden im 17. Jahrhundert Bären für die Arbeit in Zirkussen ausgebildet. Smorgon ist zwar in Weißrussland und gehörte auch damals nicht zu Russland, sondern zur polnisch-litauischen Wahlmonarchie, aber es liegt im Osten. Und da Russland ja auch im Osten ist, glaubten viele Menschen zu dieser Zeit, dass auch Smorgon in Russland sein müsse.
Die Landung des großen Bären, oder die Muslime in einer schwierigen Situation, 1828
Creative CommonsDaher ist es nicht überraschend, dass Russland, als im 19. Jahrhundert politische Karikaturen aufkamen, zumeist als Bär dargestellt wurde. Dieses Bild wurde auch von anderen Seiten aufgegriffen und spätestens im Kalten Krieg wurde der Bär eine Metapher für die rücksichtslose Machtpolitik der Sowjetunion.
Irgendwann war der Bär als Symbol so populär, dass die Sowjetunion sich entschied, das negative Image des Bären einfach aufzubessern. Bären sind schließlich nicht nur gefährlich, sondern auch tapfer, stark und stur. Daher glaubte man, dass der Bär perfekt als Maskottchen für die Olympischen Spiele in Moskau 1980 geeignet war.
Als auf der Abschlusszeremonie ein aus dutzenden Luftballons bestehender Bär in den Moskauer Nachthimmel aufstieg, war das Publikum zu Tränen gerührt. Es schien, als wären die Russen mit dem Bären als Nationalsymbol versöhnt.
Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion war der Bär auch als offizielles Symbol für das neue Russland im Gespräch. Am Ende entschied man sich aber doch für den zaristischen Doppeladler. Dennoch spielt der Bär eine wichtige Rolle in der russischen Politik: Seit den frühen 2000er-Jahren ist er das Symbol der Regierungspartei Einiges Russland.
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