Am Teetisch von Alexej Woloskow, 1851
Public domainZu Beginn des 19. Jahrhunderts bestand die russische Bevölkerung vorwiegend aus Bauern und Gutsherren. Doch während der Alltag und die Essgewohnheiten der Bauern recht einfach waren, veranstalteten die Gutsherren in ihren Esszimmern große Familienessen. Der Esstisch wurde von Hausdienern, die meist Leibeigene waren, gedeckt und auch das Essen wurde von ihnen zubereitet. Besonders wohlhabende Gutsherren hatten zudem einen ausländischen Koch im Haus, um mit ihm vor den Nachbarn angeben zu können.
Am Teetisch von Konstantin Korovin, 1888
Public domainMeist wurde um zwölf oder ein Uhr zu Mittag gegessen. Einer Legende zufolge schickte der russische Zar Paul der Erste einen Offizier zum Haus der Gräfin Golowina, nachdem ihm zu Ohren gekommen war, dass diese erst um drei Uhr nachmittags zu speisen beginnt, um ihr zu befehlen, das Mittagessen um ein Uhr einzunehmen – so, wie es alle anderen und er selbst taten.
Während dem Mittagessen wurde nicht nur gespeist, sondern auch über Geschäftliches gesprochen. Zu diesem Zweck wurden die Geschäftspartner zu sich nach Hause eingeladen. Des Weiteren war das Mittagessen für den Gutsbesitzer eine gute Zeit, um mit seinem Gutsverwalter diverse Fragen zu besprechen.
Anstellung einer Magd von Wladimir Makowski, 1891
Tretyakov GalleryDem Platz am Esstisch wurde in Russland im 19. Jahrhundert eine große Bedeutung zugesprochen. Am Kopfende saß der Gutsherr, zu seiner Rechten befand sich seine Ehefrau, zu seiner Linken der wichtigste Gast des Hauses. Je weiter entfernt jemand saß, desto niedriger war entweder sein Rang oder seine Verbindung zu den Gastgebern. Auch die Diener folgten dieser Sitzplatzordnung, wenn sie das Essen servierten. Des Weiteren wurde darauf geachtet, dass die Anzahl der Gäste niemals bei 13 lag.
Die Qualität des Tischgeschirrs hing maßgeblich von der finanziellen Lage der Familie ab. Meist bestand es aus Silber. Einer Geschichte zufolge schenkte Katharina die Zweite sogar noch im Jahr 1774 ihrem Geliebten Orlow ein Tischservice, das aus mehr als zwei Tonnen Silber bestand.
Darüber hinaus war es üblich, die Servietten in der Mitte mit den Initialen des Hausherren zu besticken.
Der russischen Tradition nach wurden die Gerichte nicht alle gleichzeitig sondern nacheinander serviert. Dieser Brauch wurde in der Mitte des 19. Jahrhunderts dann von den Franzosen und schließlich auch von anderen Europäern übernommen. Ebenso wurden zu den einzelnen Gerichten verschiedene Weine gereicht, mit der Ausnahme „des normalen Weins, der in Karaffen gereicht und zusammen mit dem Wasser getrunken wurde“, schreibt Jelena Lawrentjewa in ihrem Buch „Die Tischkultur des 19. Jahrhunderts“.
Den ersten Trinkspruch machte immer der wichtigste Gast des Hauses, meist nach dem dritten Gang. War beim Mittagessen der Hausherr selbst anwesend, lud er die anderen Gäste ein, auf die Gesundheit der Hausherrin zu trinken.
Die Abendgesellschaft von Wladimir Makowski, 1875
SputnikAm Tisch durfte im Allgemeinen nicht über Krankheiten, die Bediensteten sowie die Beziehung zwischen Mann und Frau gesprochen werden. Schweigen galt als Fauxpas oder als Zeichen schlechter Laune. Erwünscht hingegen waren zwanglose Gespräche über alltägliche und allgemeine Themen. Ferner war es üblich, ein Gespräch, das zwischen zwei Tischnachbarn stattfiand, so laut zu führen, dass die anderen Gäste es hören und daran teilhaben konnten.
Den Abschluss eines Essens bildete stets das Dessert. Für gewöhnlich gab es Früchte, Konfekt oder Eis. Am Ende des Desserts wurden Schälchen mit Wasser gereicht, um nach dem Essen den Mund auszuspülen. Dieser Brauch wurde Ende des 18. Jahrhunderts in Russland eingeführt. Vor dem Aufstehen war es zudem üblich, sich zu bekreuzigen und sich erst nach dem Aufstehen des Ehrengastes zu erheben. Eine Gegeneinladung zum Essen folgte von den Gästen für gewöhnlich nicht früher als drei und nicht später als sieben Tage nach dem jeweiligen Mittagessen.
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