Geschichte und Geschichten rund um das Schloss Gattschina

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Das von den Italienern bei Sankt Petersburg erbaute Schloss Gattschina durchlebte seit seiner Erbauung ein aufregendes Schicksal: Es diente als Jagdhaus des Geliebten der Zarin, als Kaiserschloss und als Residenz des Malteserordens.

Das Schloss Gattschina feierte letztes Jahr sein 250-jähriges Jubiläum der Grundsteinlegung. In erster Linie wird es mit Paul I. in Verbindung gebracht, der es von seiner Mutter, Katharina der Großen, geschenkt bekam und über 15 Jahre seines Lebens dort verbrachte. Nach seiner Thronbesteigung wurde das Schloss Gattschina zur Kaiserresidenz und blieb es bis zur Revolution. Ursprünglich war das Schloss für den Geliebten der Kaiserin, und nicht für den Sohn, erbaut worden.

Vier Imperatoren und ein Favorit

Katharina die Große bestieg den Thron nach einem Staatstreich. Laut dem Historiker der Vorrevolutionszeit Wassili Kljutschewski fand eine „doppelte Machtergreifung“ statt: Sie entmachtete ihren Mann und gab den Thron nicht an ihren Sohn, den rechtmäßigen Nachfolger seines Vaters, weiter. Das führte dazu, dass man Paul auch den „russischen Hamlet“ nannte.

Gattschina im Jahr 1798

Einer der Anführer des Staatsstreichs war Graf Grigori Orlow, ein Schönling, der in Petersburg als Don Juan bekannt war und einerseits sehr selbstbewusst aber andererseits auch sehr unvernünftig agierte. Drei Jahre nach Katharinas Thronbesteigung machte sie Orlow ein großzügiges Geschenk – das 40 Kilometer von Petersburg entfernte Herrenhaus „Gattschina“ inmitten malerischer Ländereien, Wälder und Seen. Dort wurde auch sogleich mit dem Bau des Jagdhauses begonnen.   

Die Bauarbeiten erstreckten sich über 15 Jahre. Orlow selbst jedoch starb kurz nach der Fertigstellung des Schlosses und kam somit nicht in den Genuss, die Residenz zu bewohnen. Die russische Zarin kaufte das Gut den Erben des Grafen ab und schenkte es ihrem Sohn Paul zur Geburt seiner ältesten Tochter Alexandra. Ein derart „pikantes“ Vorgehen schien im 18. Jahrhundert jedoch niemanden zu irritieren.

Das Schloss Gattschina wurde Pauls Lieblingsresidenz. Alles dort war nach seinem Geschmack eingerichtet. „Hier spiegelten sich die zwei größten Leidenschaften des Imperators wieder: das Theater und die Armee. Im Schloss traten die besten Petersburger Schauspieltruppen auf, manchmal wurden auch Laienvorführungen durch die Zarenfamilie und deren Vertraute veranstaltet. Die Gattschina-Armee wurde zum Vorbild für die Armeereformen des Russischen Reichs. Der Artillerie kam große Beachtung zu, da diese eine wichtige Rolle im Krieg mit Napoleon 1812 spielte“, erzählt Alexandra Farafonowa, die Archivarin des Schlosses.

Im Jahr 1798 hatte Napoleon auf dem Weg nach Ägypten Malta erobert und den Malteserorden entmachtet. Als Befürworter ritterlicher Ideale wurde Paul zum Hochmeister dieses Ordens gewählt, und ein Jahr später wurde am Rande des Schlossparks eine Ordensresidenz, der Prioratspalast, gebaut.

Nach Pauls Tod umgab ihn ein mystischer Heiligenschein, der sich teilweise auf Gattschina übertrug. Die romantisch veranlagten Fräuleins, die sich am späten Abend durch die Schlosssäle bewegten, stellten sich vergeblich eine Begegnung mit dem Geist des verstorbenen Imperators vor. Das Schloss blieb für die Zarenfamilie ein glückliches Zuhause – sie reiste hierher, um sich zu erholen, Spaß zu haben und spazieren zu gehen. Zudem galt das Schloss als ein idealer Erziehungsort gesunder Kinder.

Nikolai I. machte auf seinem Rückweg von den Manövern, die in der Umgebung stattfanden, halt. Unter Alexander II. wurde die kaiserliche Jagd nach Gattschina verlagert, zu der ausländische Monarchen und Botschafter eingeladen wurden, um in einer entspannten Atmosphäre über politische Fragen zu diskutieren. Sein Sohn, Alexander III., wählte seinerseits das Schloss als offizielle Residenz und verbrachte hier immer die Hälfte des Jahres, um sich den Staatsangelegenheit zu widmen.

Ein italienisches Schloss nahe der Hauptstadt

Das Schloss Gattschina besticht inmitten anderer kaiserlicher Residenzen durch sein außergewöhnliches Äußeres: Es ähnelt weder den, durch den Architekten Rastrelli erbauten, länglichen Barockschlössern „Peterhof“ und „Zarskoe Selo“ noch der ehemaligen Sommerresidenz „Pawlowsk“, für die die berühmte Villa „La Rotonda“ als Vorlage diente.

Grigori Orlow lud zur Erbauung des Schlosses die besten Architekten und Arbeiter seiner Zeit ein, unter anderem den Italiener Antonio Rinaldi. Die von ihm geschaffene Außenfassade sowie die Inneneinrichtung wurden zur Regierungszeit Paul I. zusammen mit seinem Hofarchitekten und Dekorateur Vincenzo Brenna zwar verändert, die Grundidee jedoch blieb erhalten.

Das Schloss Gattschina wird dem frühen Klassizismus zugerechnet, wobei sein Stil in Wirklichkeit schwer zu bestimmen ist. Sein Baukörper vereint den späten italienischen Barock und Rokoko in sich sowie die romantische Stimmung mittelalterlicher europäischer Schlösser.  

„Das Schloss Gattschina hat keinen bestimmten Prototyp, dennoch finden zeitgenössische Forscher Parallelen zum Barock und der Renaissance: so auch zum italienischen „Palazzo Fieschi“ in Rom und dem englischen „Blenheim palace“, der für den Duke of Marlborough gebaut wurde. „Man kann sagen, dass das Schloss Gattschina aus dem ganzen Architekturerbe Russlands, als „nicht russischstes“ Gebäude hervorsticht, doch genau diese Eigenschaft macht es auch so interessant“, meint der Kunsthistoriker Aleksei Jakowlew, der sich auf das 18. Jahrhundert spezialisiert hat und leitender wissenschaftlicher Mitarbeiter des Staatlichen Instituts für Kunstgeschichte ist.

1944

Als Kaiserresidenz war das Schloss zudem nicht nur für seine Architektur, sondern auch für seine Kunstsammlung, seine Skulpturen, sein Mobiliar und sein Porzellan bekannt. Seine Zeitgenossen nannte es die „vorstädtische Eremitage“. Der größte Teil seiner Schätze ging jedoch in den ersten Jahren der Sowjetzeit und im Zweiten Weltkrieg verloren. Unverändert blieb nur die einzigartige Architektur des Schlosses.

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