Erinnern wir uns kurz an den Song “Party Like A Russian” von Robbie Williams aus dem Jahre 2016: Da machen superreiche Milliardäre fett Party mit Dutzenden Ballerinen, werfen nur so mit Geldscheinen um sich und bauen „eine Bank ins Auto, das Auto in ein Flugzeug, das Flugzeug in ein Schiff“ (so zeigt es wenigstens das Video). Ungefähr so stellt man sich im Westen wohl die sogenannten „russischen Oligarchen“ vor: ein einflussreicher Superreicher mit dubiosem Ruf, der mit seinem Geld praktisch alles tun und lassen kann, was er nur will. Die Realität aber sieht etwas schwieriger aus.
Am 5. März 2018 sagte der offizielle Pressesprecher des russischen Präsidenten Wladimir Putin, Dmitri Peskow, auf eine Frage zu den jüngsten neuen US-Sanktionen: „Wir halten die Bezeichnung ‚russische Oligarchen‘ für ungeeignet. Es gibt keine Oligarchen mehr in Russland und die Zeiten, als es sie gab, sind lange her.“
Grob gesagt: Nicht jeder neureiche Russe mit Jacht und einem Fächer aus Geld-Goldkarten ist ein Oligarch. Das Merriam-Webster-Wörterbuch definiert einen Oligarchen als ein Mitglied der Oligarchie – „eine Regierung mit einer kleinen Gruppe, die korrupte und eigene Interessen durchsetzen und kontrollieren.“ Zu den wichtigen Charaktereigenschaften eines Oligarchen gehört also nicht nur das Geld, sondern auch der reale politische Einfluss.
Die russische Wissenschaftlerin Professorin Maria Golowaniwskaja, Expertin für das Verhältnis zwischen Staat und Wirtschaft, stimmt diesem Ansatz gegenüber der russischen Zeitung Argumenty i Fakty zu: „Ein Oligarch ist nicht einfach nur eine reiche Person, die ein Glamourleben mit Jachten, Diamanten und Geliebten führt. Viel wichtiger noch ist es für ihn, sich aktiv in die Politik einbringen zu können.“
Boris Beresowskij 1999 am Moskauer Flughafen Wnukowo
AFPIn den 90er Jahren spielten die Oligarchen eine bedeutende Rolle im gesamten Leben Russlands: Sie kontrollierten die Gerichte, das Business, die Politik. Zu dieser Macht kamen sie meist auf sehr undurchsichtigen Wegen, viele sicherten sich ihr Auskommen, indem sie sich bei der Privatisierung einst staatlicher Unternehmen gegen ihre Konkurrenten durchsetzten.
„Öl und Gas floss nun immer auch an den Kumpanen der Regierungspolitiker vorbei“, erklärte der amerikanische Ökonomist Jeffrey Sachs, der Russland damals bei der Privatisierung der sowjetischen Besitztümer half, später in einem Interview. Dennoch glauben viele Russen bis heute, dass große Unternehmen immer noch die Politik manipulierten – so wie eine Gruppe von Oligarchen 1996 Boris Jelzin durch die Präsidentschaftswahlen trug.
Einer dieser “echten” Oligarchen war Boris Beresowskij (Selbstmord 2013). Laut der russischen Zeitung Kommersant „nannte Beresowskij die Namen derjenigen sieben Personen, die insgesamt bereits mehr als 50 Prozent der russischen Wirtschaft kontrollierten und zusammen praktisch selbst die wichtigsten politischen Entscheidungen des Landes trafen“. Außer ihm selbst gehörten dazu noch Michail Chodorkowskij (inhaftiert 2003, entlassen 2014) sowie fünf weitere Finanzmogule.
Der russische Geschäftsmann und einstige Beresowskij-Weggefährte Pjotr Awen beschreibt es in seinem Buch „Die Zeit Beresowskijs“ so: „Beresowskij sowie einige andere Geschäftsleute glaubten fest daran, dass Jelzin 1996 nur dank ihrer Bemühungen wiedergewählt wurde. Danach sollten die Politiker eben dafür zahlen.“ Tatsächlich aber seien die Unternehmer bei den politischen Umwälzungen viel weniger bedeutend gewesen, als man üblicherweise annehme.
Norils-Nickel-CEO Wladimir Potanin bei einem Treffen zur Vorbereitung der Winter-Universiade 2019. Februar 2018, Krasnojarsk, Sibirien
Sergey Guneev/SputnikAnfang der 2000er Jahre dann wurden die Wirtschaftsvertreter aktiv aus der politischen Einflusssphäre hinaus gejagt. Und wenn nun heute gesagt wird, es gebe keine Oligarchen, dann heißt das, dass die Wirtschaft die Politik nicht manipulieren kann.
Alexander Schochin, Chef der Russischen Union der Produzenten und Unternehmer, formulierte es so: „In den 2000ern hieß das, ‚ein Unternehmer beeinflusst politische Entscheidungen‘. Heute gibt es das nicht mehr.“
Der Kommersant-Kolumnist Dmitri-Drise erläutert die heutige Situation so: „Natürlich sagen die Behörden, es gebe keine Oligarchen. Deren Ausschluss aus der russischen Politik gilt als eine der größten Errungenschaften der Regierung seit den 2000er Jahren. (…) Unsere Unternehmen haben ihre eigenen Feinheiten. Und die Regierung will nicht von der Wirtschaft abhängen. Mit der umgekehrten Lage aber haben sie kein Problem.“
Und so ist weder der Begriff „Oligarch“ verschwunden noch deren Nähe zur russischen Politik. Aber wer tatsächlich wen beeinflusst und kontrolliert, ist heute weniger deutlich zu erkennen.
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