Die Titel der in russischer Sprache erschienenen Biografien über Stalins Chef-Spionen Pawel Sudoplatow klingen pompös: „Das Genie des Terrors“, „Stalins Wolfshund“ oder „Stalins Terminator“. Viele Stimmen sagen, dass eben jener Sudoplatow als Stalins Chef der Administration für Sonderaufgaben war, der die brutalen Repressionen und mit ihnen einhergehenden Verbrechen zwischen den 30er und 50er Jahren zu verantworten hatte.
Sudoplatows Urenkel jedoch betonte jüngst in einem Interview: “Mein Großvater war Geheimagent, kein Schlachter.“ Damit ist er dann auch sehr nah an Sudoplatows eigener Sicht der Dinge. In seinen Memoiren „Sondereinsätze: Erinnerungen eines ungewollten Zeugen – eines sowjetischen Meisterspions“ räumt er zwar eine Mitverantwortung für Stalins brutale Operationen ein, betont jedoch, er habe ausschließlich aus Patriotismus so gehandelt. „Ich war ein idealistischer Kommunist“, so Sudoplatow.
Jedenfalls kann sicher niemand behaupten, Sudoplatow habe ein einfaches Leben gehabt. Schon allein, weil er nach Stalins Tod 1953 selbst für 15 Jahre ins Gefängnis kam – nachdem er jahrelang zu den einflussreichsten Persönlichkeiten der sowjetischen Politelite gehört hatte.
Jewhen Konowalez
gemeinfrei / WikipediaSudoplatow wurde in der heutigen Ukraine geboren und ging mit zwölf Jahren schon zur Roten Armee. Sein ganzes Leben lang blieb er untergebener Kommunist. In den späten 20er Jahren begann er für die damalige erste sowjetische Geheimpolizei Tscheka zu arbeiten und machte dort schnell Karriere.
Vier Jahre lang arbeitete er beispielsweise undercover innerhalb einer Gruppe ukrainischer Nationalisten. 1938 dann befahl Stalin, den Anführer der Gruppierung, Jewhen Konowalez, zu liquidieren, da jener bereits Kontakt zu Hitler aufgenommen habe und einen bewaffneten Aufstand in der Ukrainischen Sowjetrepublik plante. „Geplant war, Konowalez eine als süßes Geschenk getarnte Paketbombe zu übergeben“, schrieb Sudoplatow später.
Die beiden trafen sich dann wenig später in Rotterdam. Konowalez kannte Sudoplatew, hielt ihn jedoch für einen loyalen Nationalisten. Jener schenkte ihm dann eine Packung ukrainischer Pralinen und verabschiedete sich. Wenige Minuten später explodierte die Box und tötete, wie geplant, Konowalez. Dies war Sudoplatows erstes erfolgreiches Attentat, viele weitere sollten folgen.
Leo Trozki
Mary Evans/Global Look PressNach seiner Rückkehr nach Moskau bekam es langsam jedoch sogar der hochrangige NKWD-Offizier Sudoplatow mit der Angst zu tun. Stalins „Große Säuberungen“ erreichten langsam ihren Höhepunkt und zahlreiche Kollegen und Chefs Sudoplatows wurden verhaftet und hingerichtet: „Wir (Geheimdienstoffiziere – Anm. d. Red.) haben Angst um unser Leben, warten darauf, dass uns unser eigenes System ausradieren wird.“
Aber Stalin und der neue NKWD-Chef Lawrenti Beria hatten mit Sudoplatow andere Pläne: sie beförderten ihn zum stellvertretenden Direktor des NKWD-Auslandsdienstes – und ließen ihn den Mord an Leo Trotzki planen, der zuvor den Machtkampf innerhalb der Bolschewisten gegen Stalin verloren hatte. Trotzki lebte mittlerweile in Mexiko, kritisierte von da aus Stalins Regierung. Dieser nahm das als „Herausforderung der UdSSR als Anführer der internationalen kommunistischen Bewegung“ auf.
Sudoplatow plante den Mord einwandfrei. Dazu arbeitete er gar mit Kollegen zusammen, die vorher zwischen 1936 und 1939 als Geheimagenten im Spanischen Bürgerkrieg tätig waren. Einer dieser Agenten, der Leutnant Ramón Mercader, zog dann als angeblicher Trotzki-Anhänger nach Mexiko um und verschaffte sich dort dann Zugang zum innersten Kreis des verstoßenen sowjetischen Revolutionsführers. Am 20. August 1940 erschlug Mercader Trotzki dann mit einem Eispickel.
Während des Zweiten Weltkrieges arbeiteten Suplatows Leute aktiv an Operationen gegen Deutschland. Zu seiner Truppe gehörten die berühmtesten und berüchtigtsten Spione seiner Zeit: die Gruppe „Rotes Orchester“, Richard Sorge, Kim Philby, Rudolf Abel und viele mehr. Suplatow organisierte auch Partisanen- und Sabotagegruppen.
Eine der wichtigsten Operationen Sudoplatows während des Krieges war die Aktion unter dem Codenamen “Kloster”. Dafür gab sich Sudoplatows Agent Alexander Demjanow, der tatsächlich adelige Wurzeln hatte, als anti-sowjetischer Adeliger aus und infiltrierte den nazideutschen Geheimdienst vier Jahre lang mit Fehlinformationen.
Und manchmal spielte genau das dann auch die Schlüsselrolle im Kampf, zum Beispiel im Jahr 1942: „Die Deutschen erwarteten, dass sich die sowjetische Offensive in Rschew sammeln würde und griffen an. Die in Wahrheit in Stalingrad geplante wirkliche Verteidigungsattacke kam für die Wehrmacht dann darum wir aus heiterem Himmel“, schrieb Sudoplatow später.
Deutsche Kriegsgefangene
Getty Images1944 dann organisierte Sudoplatow die Operation Scherhorn: Mithilfe falscher Quellen überzeugte der sowjetische Geheimdienst die Deutschen, die sich bereits auf dem Rückzug in Osteuropa befunden, davon, dass noch eine Wehrmacht-Einheit von etwa 2000 Mann hinter der Frontlinie in Weißrussland zurückgeblieben sei.
Berlin versorgte seine “heldenhaften Soldaten” dann mit Waffen und Radiodurchsagen, die jedoch umgehend von den Sowjets einkassiert wurden. Der echte Offizier Scherhorn, der Kommandeur der falschen Einheit, war in Wahrheit ein deutscher Gefangener, der von Moskau rekrutiert werden konnte. Nazideutschland investierte noch bis zum Kriegsende 1945 Ressourcen, Menschen und viel Zeit in die vermeintliche Helfe der „Helden im Feindesland“.
Pawel Sudoplatow
Verteidigungsministerium der Russischen FöderationWie bei jedem an ständigen Geheimdienstagenten ist auch Sudoplatows Lebenslauf voller Legenden und Verschleierungen. Sicher ist praktisch nur, dass Sudoplatows direkter Vorgesetzter Beria nach Stalins Tod 1953 verhaftet und hingerichtet wurde. Sudoplatow selbst entging zwar einem solchen Urteil, wurde jedoch wegen des Verdachts auf Verschwörung und Experimente mit tödlichen Giften an lebendigen Personen für 15 Jahre ins Gefängnis gesteckt. In den Jahren 1953 bis 1968 erlitt er drei Schlaganfälle und verlor sein Augenlicht auf einem Auge. 1992 wurde er in Russland als einer der herausragendsten Geheimdienstagenten der Sowjetunion rehabilitiert. Bis zu seinem Tod 1996 lebte er dennoch halb zurückgezogen, halb vergessen in Moskau.
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